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Riven Rock

Riven Rock

Titel: Riven Rock
Autoren: T.C. Boyle
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Schultern, bis er Mrs. Dexters Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte, dann verbreiterte er sein Lächeln zu einer Art seliger Grimasse. »Auch Ihnen einen schönen guten Morgen, Mrs. Dexter«, sagte er und hörte, wie sich der Killarney-Dialekt seines Vaters in seine dröhnende Stimme schlich, obwohl er dagegen anzukämpfen versuchte.
    Dr. Hamilton unterbrach sich in dem, was er gerade hatte sagen wollen, um ihn schief anzusehen. »Und Ihnen ebenfalls, Mr. O’Kane«, gab die alte Lady fröhlich zurück, was den Arzt wieder zu beruhigen schien, denn er fuhr fort.
    »Wie ich gerade sagte, Mrs. McCormick, falls die Bedingungen für Sie akzeptabel sind – und für Ihre Mutter natürlich –, dann, denke ich, sind wir uns einig. Ich habe mit meiner Gattin und den Thompson-Brüdern gesprochen, und der Umzug liegt ihnen sehr am Herzen – und natürlich Mr. McCormicks gute Pflege und sein Wohlergehen. Und Edward hier kann ja für sich selbst sprechen.«
    O’Kane rutschte auf dem Stuhl herum. Bis zu diesem Augenblick hatte er nicht begriffen, wieviel ihm das Ganze bedeutete – es war ein neuer Anfang, ein neues Leben, und zwar in einem Landesteil, der ihm so fremd war wie die dunkle Seite des Mondes. Aber darum ging es ja gerade: in Kalifornien war es nie dunkel, es schneite dort nicht, es gab weder Matsch noch Nieselregen, kein gefrorener Pferdemist lag auf den Straßen, und das Leben dort war nicht so eine Schinderei, daß man kaum noch wußte, ob man lebte oder tot war. Ein einziger Orangenhain konnte einem zum Leben reichen – die Früchte wuchsen praktisch von selbst, ohne auch nur gerüchteweise nach Arbeit zu klingen, sobald die Bäume im Boden steckten –, und mit fünf Hektar konnte man ein reicher Mann werden. Dort gab es Gold. Und Öl. Und den Pazifik. Und die Sonne. »Oh, mir liegt das auch am Herzen, sehr sogar«, sagte er und wich dem Blick der Ehefrau aus.
    Wie alt war sie eigentlich? Sie konnte nicht älter als Anfang Dreißig sein, und da saß er, ein tüchtiger, kräftiger Ire aus dem Bostoner North End, mit breiten Schultern und sechsundachtzig Kilo auf der Waage, der routinemäßig den Irrsten der Irren ins Antlitz starrte, und hatte Angst, ihr in die Augen zu sehen? Er nahm sich zusammen, hob den Kopf und blickte ungefähr in ihre Richtung. »Selbst wenn es für immer hieße.«
    »Und Ihre Frau – Mrs. O’Kane?« Zuerst dachte er wie viele der unglücklichen Kerle auf der Station, die Stimme käme von der Decke, doch dann wurde ihm klar, daß die alte Lady die Lippen bewegte. Er bemühte sich um eine aufmerksame Miene, als ihr Vogelgesicht ihm noch näher kam. »Wie steht sie dazu?«
    »Rose?« Die Frage traf ihn unvorbereitet. Er sah seine Frau vor sich, wie sie in der Küche ihrer billigen Wohnung in einem Topf mit Brühe und Kartoffeln rührte, dumm wie ein Pantoffel, streitsüchtig, derb und laut – aber grundgütig, ein grundgütiges Mädchen, wie man selten eines fand, und die Mutter seines Sohnes. »Ich... ich hab’s ihr noch gar nicht erzählt, aber sie wird begeistert sein, da bin ich ganz sicher.«
    »Aber das heißt, daß sie alles zurücklassen muß – ihre Eltern, ihre Verwandten, ihre früheren Schulfreundinnen, die Straßen, in denen sie aufwuchs«, beharrte Mrs. Dexter – was wollte die eigentlich von ihm? Sie beobachteten ihn beide, Mutter und Tochter, sie waren wie zwei Raubvögel, alle beide – scharfe Schnäbel, wachsame Augen, die auf die leiseste Regung im Gras lauerten. »Wo, sagten Sie doch, kommt sie her?«
    Er hatte es nicht gesagt. Am liebsten hätte er Beacon Hill geantwortet, eine Adresse in der schicken Commonwealth Avenue angegeben, aber er tat es nicht. »Aus Charlestown«, murmelte er und starrte auf seine naßglänzenden Schuhe hinab. Er spürte, wie sich die Blicke der jüngeren Frau in ihn bohrten.
    »Und für Sie wäre das ja ebenso«, sagte die ältere. »Sind Sie denn bereit, den eigenen Eltern Lebewohl zu sagen – und das für so lange, wie Mr. McCormick brauchen wird, um wieder gesund zu werden?«
    Es entstand eine Pause. Das Feuer knackte, und er fühlte, wie die Hitze die Feuchtigkeit aus seinen Hosen- und Ärmelaufschlägen und den enger werdenden Schultern seines Jacketts trieb. »Ja, Ma’am«, sagte er und warf einen raschen Blick auf die jüngere Frau. »Ich denke schon. Ganz bestimmt.«
    Glücklicherweise nahm jetzt Hamilton das Gespräch in die Hand. »Am wichtigsten«, sagte oder vielmehr flüsterte er in dem narkotisierenden Tonfall, den
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