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Riven Rock

Riven Rock

Titel: Riven Rock
Autoren: T.C. Boyle
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daraufhin nahm sie sein Gesicht in die Hände, die zarteste Berührung der Welt, und flüsterte: »Hier ist es, hier, ich halt’s in meinen Händen.«
    Der Morgen verging wie im Flug. Zuerst war er im Haus in der White Street gewesen, wo man Mr. McCormick untergebracht hatte, um ihm die Belästigung durch andere Patienten zu ersparen, dann war er zum McLean Hospital aufgebrochen, und jetzt war er spät dran, deshalb ging er quer über den Rasen vor dem Verwaltungsgebäude, es war ein Tag wie ein nasser Lappen, obwohl es bereits die letzte Aprilwoche war, und er hätte den Göttern ein Opfer gebracht für einen einzigen Sonnenstrahl – er war spät dran und in Eile, und es kümmerte ihn einen Dreck, daß er Hut und Mantel im Pflegerzimmer liegengelassen hatte und die Aufschläge seiner Hose aus gutem Donegal-Tweed die Nässe aufsogen, als hätte er sich zwei Schwämme um die Knöchel gebunden. Es hätte ihn aber kümmern müssen, denn als der Schneider damals aus Ballyshannon gekommen und in die Pension ein paar Häuser weiter eingezogen war und seine Mutter ihm geraten hatte, diese Gelegenheit zu nutzen und sich einen guten Anzug nähen zu lassen, denn nur als ordentlich angezogener Zeitgenosse dürfe er je darauf hoffen, mit dem Kopf statt mit den Händen zu arbeiten, da hatte er achtzehn Dollar dafür hingelegt. Achtzehn gute harte Yankee-Dollars, die er im Bostoner Irrenhaus damit verdient hatte, daß er Blut, Kotze und noch Schlimmeres von den Wänden kratzte. Und jetzt waren die Schultern durchnäßt, die Feuchtigkeit kroch ihm die Schienbeine hoch, und das schöne Stück würde garantiert eingehen, doch was machte das schon? Es war zwei Minuten vor elf, das nasse Haar hing ihm in die Augen, aber Dr. Hamilton erwartete ihn. Wenn alles klappte, würde er sich sechs Anzüge kaufen können.
    Es sah ihm gar nicht ähnlich, zu spät zu kommen – es war unprofessionell, und Dr. Hamilton legte großen Wert auf »die drei Ps«, wie er es nannte: Pünktlichkeit, Pflichterfüllung und Professionalität –, und O’Kane, der sowieso schon nervös war, fühlte sich wie ein Stück Speck in der Pfanne, während er über den feuchten Rasen rannte. Er schwitzte unter den Achseln, und die Haare hingen ihm wie Stricke ins Gesicht. Es sah ihm überhaupt nicht ähnlich, aber er lag im Zeitplan zurück, weil er sich in der White Street hatte aufhalten lassen, und dann noch einmal in der rückwärtigen Station, und beide Male wegen der Affen. Diese Affen. Er konnte an nichts anderes mehr denken. Und das war seltsam, denn es war ein typischer Tag, an dem die tobsüchtigen Spinner unruhig wurden – das passierte nicht nur bei Vollmond, sondern bei jedem Wetterumschwung, auch wenn beständige Düsternis nur von einem Wolkenbruch unterbrochen wurde –, und als er über das Gras hetzte, konnte er hören, wie Katzakis, der verrückte Grieche, und der andere, den sie den Schürzenmann nannten, in der geschlossenen Abteilung aufeinander einkreischten, ja, sie kreischten wie die Affen. Tobsüchtige kannte er in- und auswendig – das sollte er auch, nach sieben Jahren in der Branche –, dagegen waren seine Erfahrungen mit Hominiden, wie Dr. Hamilton sie nannte, eher beschränkt. Und wieso auch nicht? South Boston, Danvers und Waverley lagen ja nicht gerade im tropischen Dschungel.
    Tatsächlich war O’Kane, abgesehen von den für Kinder üblichen Begegnungen mit Affen – bei Drehorgelspielern, in Zirkusmenagerien oder im Zoo –, einem solchen Tier auf Spuckweite nur ein einziges Mal nahe gekommen, und zwar in einer Kneipe. Er war eines Nachmittags auf ein Bier in Donnellys Bar gegangen, und als er von seinem Glas aufsah, saß neben ihm an der Theke ein Mann mit einem einäugigen Schimpansen an der Leine. Für einen Klaren und ein Bier zum Runterspülen ließ der Kerl den Affen sein Ding rausholen, ein Bierglas vollpissen und das Zeug dann auch noch trinken, als wär’s irischer Whiskey vom Feinsten – und der leckte sich sogar die Lippen danach. Als der Mann seinen dritten Drink intus hatte, sah er bedächtig den Tresen entlang und sagte, für einen halben Dollar Einsatz fordere er jeden in der Bar heraus, zum Armdrücken gegen sein Vieh anzutreten – gegen diesen mickrigen, einäugigen, halb glatzköpfigen Affen, der stank, als hätte man alle Seelen der Hölle im eigenen Saft geschmort und dann eine Woche lang in der Sonne trocknen lassen –, und es gab prompt viel Geschubse und jede Menge obszöne Kommentare, während sich
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