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Verführung der Finsternis: Roman (German Edition)

Verführung der Finsternis: Roman (German Edition)

Titel: Verführung der Finsternis: Roman (German Edition)
Autoren: Alix Rickloff
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Kapitel Eins
    Vor der südwestlichen Küste Irlands
November 1815
    E r hatte gebetet, dass der Sturm ihn töten möge. Um einen kräftigen Blitzschlag, der seinen Körper in so viele Teile zersplittern würde, dass keine noch so starke Magie ihn je wieder zusammensetzen könnte.
    Doch seine Gebete waren vergeblich gewesen. Er war weit hinaus über die Reichweite göttlicher Hilfe.
    Die schäumenden Sturmwellen hatten sich zu einer schwarzen, nur noch leicht dahinrollenden Dünung gelegt, die gerade noch Übelkeit herbeiführen konnte, aber nicht den Tod. Die sich nach Osten verziehenden Wolken nahmen ihre Blitze mit und hinterließen einen von eisigen Sternen glitzernden Himmel mit einem tief am Horizont hängenden vollen Mond. Ein malerischer Anblick, doch seine Stimmung verlangte nach der Zerstörungswut eines Zyklons, die besser zu dem dunklen Wahnsinn passen würde, der ihm das Gehirn vergiftete.
    Der Sturm hatte sie vom Kurs abgetrieben. Er hatte das Fluchen der Seemänner gehört und das Stirnrunzeln des Kapitäns gesehen, als er auf dem Hinterdeck des Schiffes herumgestrichen war. Sie lagen hinter ihrem Zeitplan zurück, das Schiff war angeschlagen und reparaturbedürftig und der Hafen von Cobh noch anderthalb Tage entfernt, vorausgesetzt, der Wind hielt sich.
    Da die Götter ihn also offenbar im Stich gelassen hatten, blieb es ihm selbst überlassen, sich Erlösung zu verschaffen.
    Ein blitzschneller, schmerzloser Untergang war ihm versagt geblieben, doch es gab noch andere Wege nach Annwn . Versteckte dunkle Wege, die genauso sicher in das Land der Toten führten.
    Er musste sie nur entdecken.
    An die Reling gelehnt, ließ er den Blick über die See schweifen, wo er die Antwort auf jeder Welle geschrieben fand. Aber konnte es ihm gelingen? Würden sich die Schutzzauber, die ihn am Leben erhielten und unantastbar machten, im nassen, kalten Reich des Seegotts Lir auflösen und den Trost bringen, den er sich ersehnte? Oder würde der Versuch zu endlosem Leiden einer anderen Art im unerbittlichen Sog der Ozeangezeiten führen?
    Die Sterne, die sich silbern und golden auf der Wasseroberfläche widerspiegelten, kringelten und wellten sich, als zeichnete eine Hand Gebilde aus Licht und Wasser, und verwandelten das Mondlicht in die blassen Züge einer Frau. Der Schaum des Ozeans trieb über ihr Gesicht wie ein Schleier dunklen Haares. Aber sie sandte ihre Liebe durch diesen trennenden Schleier aus und leuchtete hell in einer von Schatten überdeckten Welt.
    War sie seinen dürftigen Erinnerungen entsprungen, oder war sie nur ein Traum? Für ihn unmöglich zu erkennen. Namen und Gesichter geisterten durch sein Bewusstsein wie Gespenster, manchmal so lebhaft wie die Existenz, in der er gefangen war. Bisweilen stießen seine beharrlichen Bemühungen, sich zu erinnern, jedoch nur auf Leere, und es blieb ihm allein überlassen, die dämonische Wut zu bekämpfen, die wie Säure in ihm brannte. Den Zorn der Verdammten.
    Er erwartete, dass die Frau sich jede Sekunde wieder auflösen würde in den Wellen, doch sie blieb. Ihre Augen waren blau wie Kornblumen, ihr Lächeln entschärfte für einen Moment die Hoffnungslosigkeit, die ihm das Herz zusammenkrampfte, und er erkannte, dass er hier und jetzt den angebotenen Weg beschreiten musste. Bevor sie verschwand, bevor sie von der heulenden Bösartigkeit vertrieben wurde und er wieder einmal, seiner Erinnerungen oder auch nur des Trostes seiner Erinnerungen beraubt, zurückgelassen wurde. Zumindest würde er sich so der Ungewissheit des Todes nicht allein stellen müssen.
    Entschlossen hob er ein Bein über die Reling und blickte sich um, um sicherzugehen, dass er nicht beobachtet wurde. Aber an Deck blieb alles still. Eine bessere Chance würde er nicht bekommen.
    Um sich außer Reichweite des Schiffes zu bringen, stürzte er sich mit einem harten Stoß gegen die Bordwand ins Wasser und stieß wie ein Pfeil bis tief unter die Wellen.
    Das Wasser machte ihn schlagartig hellwach. Die eisige Kälte traf ihn wie ein Faustschlag in den Magen und war wie Tausende scharfer Stiche, die jeden einzelnen Nerv durchbohrten. Während er in einer Wolke aus Blasen den Atem ausstieß, sank er tiefer. Seine Lunge brannte, und seine Muskeln verkrampften sich, als er gegen den instinktiven Drang zu atmen – und zu leben – ankämpfte.
    Er wehrte sich gegen den klaustrophobischen Druck des Wassers, aber die betäubende Kälte der See machte jede Bewegung zur Qual und letztendlich
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