Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Riven Rock

Riven Rock

Titel: Riven Rock
Autoren: T.C. Boyle
Vom Netzwerk:
Aussagen der Pfleger ertragen – Edward James O’Kane, sündhaft gutaussehend sogar auf seine alten Tage, trat in den Zeugenstand und erklärte: Ja, Dr. Kempf habe Wunder gewirkt, und war das etwa Dankbarkeit? Schlimmer noch: Lawler rief Zeugen auf, die ihren Charakter in Zweifel zogen, als wäre sie unqualifiziert für die Vormundschaft über ihren Mann. Sie sei eine Radikale, eine Frauenrechtlerin, Mitglied der Amerikanischen Liga für Geburtenkontrolle – weitere Vorwürfe konnten sie nur andeuten, denn mehr wagten sie nicht –, und sie mußte sich ungemein beherrschen, auf der lederbezogenen Bank stillzusitzen und mit anzuhören, wie sie ihre dreckigen Anwürfe gegen Jane Roessing losließen, dabei befand sich in diesem Gerichtssaal kein Mensch, der würdig gewesen wäre, ihr auch nur die Füße zu küssen...
    Ja. Und dann rief man sie, Katherine Dexter McCormick, in den Zeugenstand.
    Schwor sie, die Wahrheit zu sagen, die ganze Wahrheit, et cetera?
    Das tat sie.
    Und sie richtete ihren ruhigen, festen Blick auf den Saal, sah in die abwartenden Gesichter von Kempf und Cyrus, von Harold und Anita, über das zischelnde Gedränge der Reporter und Sensationshascher hinweg, auf die Anwälte und Experten, die in ihren separaten Ecken kauerten wie Sportmannschaften nach dem Umziehen, ehe sie schließlich bei Jane und ihrer Mutter innehielt, die jetzt auf dem Platz zusammengerückt waren, wo eben noch sie gesessen hatte. Sie schenkte ihnen ein knappes, schmallippiges Lächeln und hob dann den Blick zu Newt Baker. Jetzt , dachte sie, jetzt würden sie die Wahrheit hören, jetzt würden sie erfahren, wie diese raffgierige, rachsüchtige Familie von Anfang an versucht hatte, sie zu isolieren und auszuschließen, wie es schon immer ihr Ziel gewesen war, sie von ihrem Mann zu trennen und das McCormicksche Vermögen um jeden Preis zu bewahren, und wie Kempf bloß der letzte einer langen Reihe von Quacksalbern und Scharlatanen war, sämtlich dazu angeheuert, ihr nicht nur die Pflege ihres Gatten zu verwehren, sondern auch den Zutritt zu seinen Zimmern, zu dem Haus, in dem er lebte, ja sogar seinen Anblick. Und wer war der Leidtragende von alledem? Das war sie. Und natürlich Stanley, nicht zu vergessen Stanley, dem man so viele grausame, unerbittliche, sich verschlechternde Jahre hindurch ihre Unterstützung, ihre körperliche Gegenwart genommen hatte. O ja, sie hatte etwas zu erzählen.
    Newt Baker führte sie Schritt für Schritt durch ihre Aussage, so gut er konnte, aber natürlich war es nicht zulässig, daß sie von einem Motiv sprach, außer in Andeutungen, und jedesmal, wenn sie anfing, die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit zu erzählen, fuhr Oscar Lawler wie ein Stehaufmännchen hoch und erhob Einspruch. Trotzdem gelang es Newt, sie zu einer gründlichen Erörterung der zentralen Frage dieser Verhandlung zu bringen: die Kompetenz von Dr. Kempf.
    »Wann haben Sie erstmals die Wirksamkeit – beziehungsweise deren Fehlen – von Dr. Kempfs Methoden bemerkt, Mrs. McCormick?« fragte Newt mit dem allersanftesten Hauch in der Stimme.
    »Als er mich allen Ernstes darüber aufklärte, daß die Zähne meines Mannes, die in beklagenswertem Zustand sind, durch die Wirkung der Freudschen Analyse irgendwie wundersam geheilt werden würden.«
    »Seine Zähne?«
    »Ja. Sehen Sie, mein Mann hegt eine irrationale Angst vor Zahnärzten, weil er am Tag seines Nervenzusammenbruchs – seines endgültigen Zusammenbruchs, meine ich – eine Auseinandersetzung mit einem Zahnarzt hatte. Das ist für mich eindeutig ein Fall, wo der Arzt selbst zum Patienten wird – als könnten Worte allein ein körperliches Leiden heilen, und im übrigen eines, das wir vermittels der zahnärztlichen Kunst durchaus zu bewältigen in der Lage sind. Hier geht es nur um Karies, nicht um seelische Eingriffe!«
    Newt starrte den Richter eine Zeitlang an, dann beugte er sich näher an den Zeugenstand. Sein Haar war inzwischen silbergrau, kein bißchen war übrig von der Farbe, an die sie sich aus Kriegszeiten erinnerte, und er hielt sich mit übertriebener Vorsicht, die an Gebrechlichkeit denken ließ, ein erstes unüberhörbares Raunen des Greisentums – obwohl er kaum älter als sechzig sein konnte, allerhöchstens. »Und damals«, fuhr er fort, »damals hatten Sie zum erstenmal den Verdacht, Dr. Kempfs Behandlungsmethode, über die wir in diesem Gerichtssaal gleichwohl unverantwortliches Lob gehört haben, könnte große Ähnlichkeiten mit der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher