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Riven Rock

Riven Rock

Titel: Riven Rock
Autoren: T.C. Boyle
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spastischen, geduckten Galopp davon, den O’Kane so gut kannte, mit fliegenden Ellenbogen, der Kopf zwischen den Schultern aufragend wie ein nachträglicher Einfall, aber was wollte er nur – den Hund? Ja, den Hund, der hektisch vor ihm davonlief, in Richtung des Zuges, zu diesem funkelnden Stahlgerät aus scheinbar rückwärtsdrehenden Rädern und mechanischem Donner, und er rief: »Komm, Hundchen, komm, komm, Wuffi, komm zu mir!«
    O’Kane gab alles, was er hatte, keine Zeit zum Nachdenken über Gefahren oder Konsequenzen, sein einziges Ziel war dieser schlaksige, wahnsinnige, gekrümmte Kerl, den er den größten Teil seines eigenen Lebens über hierhin oder dorthin verfolgt hatte, er war mit ihm vermählt, gegen ihn abgehärtet und an ihn gekettet, doch sein Knie machte nicht mit. Mr. McCormick rannte mit voller Kraft, schlug Haken und Finten und schnappte nach dem Hund, jetzt war er an den wartenden Wagen vorbei, glotzende Gesichter, ein Mann mit Zigarre, eine Frau mit Hut, jetzt erreichte er die Schranke – und dann, ohne zu zögern, ein schlichtes Beugen des Rückens, und anderthalb Herzschläge später war er darunter durch.
    Der Tod des Hundes war unvermeidlich. Als hellbrauner Streifen schoß er durch eine Lücke der mahlenden Räder, die Waggons schaukelten, es war der langsamste Zug der Welt, und dies war der letzte Augenblick im Leben des Hundes, man hörte kein anderes Geräusch als das Kreischen der Räder, und als O’Kane bei Mr. McCormick ankam, war dieser von seiner bekümmerten, leidenden Miene bis zur Hüfte der gelben Regenpelerine mit einem langen Streifen Blut überzogen.
    »Eddie«, sagte er, aber er riß seinen Arm weg, als O’Kane danach zu fassen versuchte, und der Zug fuhr immer noch vorbei, laut wie das Ende der Welt. »Eddie, ich möchte sterben«, sagte er. »Eddie, laß mich sterben.«
    An diesen Moment sollte sich O’Kane für den Rest seines Lebens erinnern – jenes Lebens, das er damit verbringen würde, mit Mr. Stanley Robert McCormick gemeinsam zu atmen, zu essen und auf dem Sofa zu sitzen, eines Lebens, in dem er nicht das Fünkchen einer Wahl besaß, denn er ließ Mr. McCormick, der schon blutüberströmt, schon frei war, nicht unter den ratternden Rädern sterben, sondern packte ihn mit den Armen und preßte ihn mit einer Kraft an sich, die keine Macht der Welt je hätte bezwingen können.

8
    Komm rein, Jack
    Katherine McCormick saß steif auf einer der harten Holzbänke im Bezirksgericht von Santa Barbara und musterte die Wandmalereien mit so vehementer Konzentration, daß alles andere rings herum verblaßte. Ihre Kleidung war tadellos, ihr Ausdruck neutral, das Haar trug sie streng hochgesteckt unter dem Hut. Ihre Mutter hatte sich mit freundlicher, entschlossener Miene schützend neben ihr postiert, Jane saß auf der anderen Seite. Vor allem, so sagte sie sich, durfte sie keine Gefühle zeigen. Diese Leute waren wie Bluthunde, ein hechelndes Pack, es war die Welt der Männer, die wieder einmal gegen sie aufmarschierte – die hektisch schubsenden, lauten Reporter, ein Bauerntölpel von Richter mit starkem Dialekt, dazu die McCormicks und ihre gedungenen Schergen, und dann noch Bentley, ihr ewiger Gegner, der mit spöttischem Grinsen aus den Kulissen zusah. Aber diesmal hatte sie Newton Baker an ihrer Seite, und wenn es in ganz Amerika jemanden gab, der mehr Talent und größeres Ansehen als Anwalt besaß, einmal abgesehen von Clarence Darrow persönlich, dann wäre sie überrascht. Diesen Kampf wollte sie auf keinen Fall verlieren.
    Sie studierte die Wandmalereien, als wäre sie im Prado oder im Rijksmuseum, und versuchte, ihren Atem und ihren wild pochenden Herzschlag zu kontrollieren. Das Gericht war neu errichtet, als Ersatz für den alten Bau, der dem Erdbeben zum Opfer gefallen war, es war ein stattliches, von einem roten Flachdach gekröntes Gebäude im maurisch-iberischen Pseudostil, mit handgemalten Fliesen aus Algerien, kilometerweise Gußeisen, langen Reihen von Bogenfenstern, breiten Steintreppen und einem weißen Turm, in dem sich Don Quichotte wie zu Hause gefühlt hätte. Die Wandgemälde stammten von einem holländischen Filmbühnenbildner, der normalerweise für Cecil B. DeMille arbeitete, und es bestand keine Gefahr, daß er für die Reinkarnation Rembrandts gehalten wurde. Das Bild, das Katherine im Moment betrachtete, stellte eine Gruppe edler Wilder mit Hund dar, die angemessen beeindruckt zusahen, wie ein Trupp Hellebarden schwingender Spanier
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