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Riven Rock

Riven Rock

Titel: Riven Rock
Autoren: T.C. Boyle
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auf sie zustürmte, im Hintergrund verschwommen eine dümpelnde Galeone. Der Text darunter lautete: »1542: Fünfzig Jahre nach Columbus landet Juan Rodríguez Cabrillo in Las Canoas und pflanzt die spanische Flagge auf.«
    Immerhin, eine Ablenkung. Und sie brauchte Ablenkung, denn Oscar Lawler, der Vertreter der McCormicks, dem drei Assistenten und die Mittel von zwei großen Anwaltskanzleien in Los Angeles den Rücken stärkten, ließ gerade irgendeinen verbildeten, irregeleiteten, aber höchst selbstzufriedenen Narren von Mediziner seine Tirade über die Gefahren endokriner Therapien halten. »Des weiteren gilt inzwischen die allgemeine Lehrmeinung«, salbaderte der Doktor, »daß Fälle von stuporöser Katatonie keinesfalls durch Insuffizienz von Thyreoidea, Hypophyse oder der Gonaden bedingt sind... Man kennt Beispiele, wo die Verabreichung von Schilddrüsenpräparaten sogar eine Verschlimmerung der Symptome nach sich zog und tatsächlich mehr als einmal zu akuten Anfällen führte...« Und so weiter, blablabla. Wieso stand Newt nicht auf und erhob Einspruch? Warum knallte er nicht mit der Faust auf den Tisch und machte dieser Scharade ein Ende? Wann würde endlich das Kreuzverhör stattfinden?
    Nach dem Mittagessen, wie es aussah. Als der Arzt, ein braver Routinier, der alles herausquasselte, was ihm die McCormicks eingetrichtert hatten, in den Zeugenstand zurückkehrte, hatte er sich den Kragen mit Senf bekleckert, und Newton Baker erhob sich, um ihn in die Mangel zu nehmen. »Trifft es nicht zu, Dr. Orbison«, wollte Newt wissen, »daß es einer ausgemachten Sinnlosigkeit gleichkommt, bei einem Patienten wie Mr. McCormick von einer ausschließlich psychoanalytischen Therapie Heilung zu erwarten? Vor allem dann, wenn er, wie eine ganze Reihe Ihrer hervorragenden Medizinerkollegen vor diesem Gericht bereits ausgeführt haben, ohne Zweifel an einer Störung der Hypophysentätigkeit leidet und sein Zustand beträchtlich gebessert, wenn nicht gar kuriert werden könnte, indem man ihn mit Schilddrüsenextrakten behandelte?«
    Dr. Orbison mit seinem prachtvollen Senfklecks auf dem Hemd verneinte dies. Er äußerte die Meinung, der Patient habe sich unter Dr. Kempfs Betreuung sichtlich erholt, und sagte noch einmal, daß in Fällen wie dem von Mr. McCormick jede Drüsentherapie gefährlich und unverantwortlich sei.
    »Aber ist es nicht so, Dr. Orbison, daß Dr. Kempfs ›Behandlung‹ im Grunde nur darin besteht, den Patienten zwei Stunden täglich ordinäre Geschichten erzählen zu lassen, und dies unter dem Deckmäntelchen medizinischer Autorität, was es nur um so schädlicher, um nicht zu sagen schändlicher macht und dazu geführt hat, daß der Patient eine Antipathie gegen Frauen aufbaute – insbesondere gegen die eigene Ehefrau?«
    Mr. Lawler erhob Einspruch: Mr. Baker lege dem Zeugen die Worte in den Mund. Richter Dehy gab dem Einspruch statt und ließ die Frage aus dem Protokoll streichen, jedoch erst nachdem der Doktor sie verneint hatte.
    »Nun gut«, intonierte Newt, jetzt ganz ernst und voll mühsam unterdrückter Empörung, »dann streiten Sie mir auch das ab: Ist es nicht Tatsache, daß Mr. McCormick hoffnungslos verrückt ist und die derzeitige Behandlung durch seinen Arzt in Wahrheit nicht viel mehr als Hokuspokus darstellt?«
    Katherine zuckte zusammen, und alle im Gericht sahen es, die blasierten McCormicks, die kritzelnden Reporter, Lawlers drei Assistenten und die brodelnde Masse von gelbgesichtigen Gaffern und Herumtreibern, denen es nur darum ging, die entwürdigendsten Einzelheiten aus ihrem Privatleben und dem ihres Mannes zu erfahren: Newt war zu weit gegangen. Ja, sie sah ein, daß er etwas herauszuarbeiten versuchte, daß er beweisen wollte, welche Grenzen der Psychoanalyse in Fällen wie Stanleys gesetzt waren, aber hoffnungslos verrückt ? Das meinte er doch nicht ernst, oder? Der Doktor, der Mann der McCormicks, mochte vielleicht glauben, daß die Sonne sich um die Erde drehte und Gott mit seinen Engeln ein Sommerlager auf dem Pluto betrieb, aber er behauptete immerhin nicht, daß ihr Mann hoffnungslos verrückt war, und einen Moment lang vergaß sie, auf welcher Seite sie stand.
    Am nächstenTag ging es ebenso weiter, und auch am übernächsten Tag und am Tag darauf: Ärzte und noch mehr Ärzte, Ärzte für Lawler und für die McCormicks, Ärzte für Newton Baker und sie, und keiner von ihnen hatte mehr zu sagen, als auf einer Postkarte Platz gehabt hätte. Dann mußte sie die
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