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Riven Rock

Riven Rock

Titel: Riven Rock
Autoren: T.C. Boyle
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Hilfe, Stanley, professionelle Hilfe, und du solltest dich an einen Ort bringen lassen, wo du die Pflege und Ruhe bekommst, die du brauchst... nur bis deine Nerven sich wieder beruhigt haben.« Sie versuchte zu lächeln. »Wäre das nicht das Beste?«
    Er stand abrupt auf, schnappte in derselben Bewegung eine Handvoll Essen vom Teller und stopfte es sich in den Mund. Er schüttelte mechanisch den Kopf, seine Wangen bliesen sich auf, die Augen sanken tief hinab ins Nichts, beklagenswert verhungerte Augen, die Hilfe und Beistand zu erflehen schienen, und sie stand ebenfalls auf und streckte die Hand nach ihm aus.
    Zwischen ihnen war der Tisch, die kalten Eier, die Würstchen und der Speck versanken in einem See aus geronnenem Fett. Seine Kiefer arbeiteten, und er zuckte bei jeder Kaubewegung zusammen. »Mein, mein Zahn «, sagte er und spuckte dabei Teile von halb zerkautem Essen aus, »ich – ich muß einen Zahnarzt finden...«
    »Ich kann den Zahnarzt meiner Mutter anrufen – er ist sehr gut, und ich bin sicher, in einem Notfall würde er –«
    »Nein, nein«, rief Stanley, der immer noch kaute und dabei Essen über seine Hemdbrust versprühte, »ich – ich muß jetzt gehen«, und er schoß zur Tür hinaus, durch den Korridor und die Treppe hinunter, wo er rasch nach Hut und Mantel griff und dann in das Rechteck aus Licht eintauchte, das sich dort anstelle der Eingangstür befand.
    Na schön, ist gut, dachte sie und versuchte sich zu beruhigen, versuchte damit aufzuhören, jedesmal zu zittern oder in Wut zu geraten, sobald er das Zimmer betrat oder verließ. Er war zum Zahnarzt gegangen, um einen schmerzenden Zahn behandeln zu lassen. Was könnte normaler, ja prosaischer sein? Sie schüttelte den Kopf, wie um ihre Gedanken zu klären, unterdrückte ihre Sorgen und bösen Vorahnungen und legte sich nochmals ins Bett.
    Als sie aufwachte, war es nach zehn, und ihr war klar, daß sie sich für ihre Verabredung mit Professor Durward verspäten würde, der gemeinsam mit einem jungen Harvard-Psychiater namens Hamilton gerade eine sehr interessante Versuchsreihe über das Wesen der Sexualität von Affen zusammenstellte. Sie hoffte, bei dem Gespräch einige Hinweise über ihre eigene Zukunft am Institut zu erhalten – sie hätte gern mit größeren Tieren gearbeitet, mit Ratten, Kaninchen, Affen und Menschenaffen, anstatt mit den Mikroben und Fruchtfliegen, die ihre Kollegen vorzuziehen schienen. Aber sie würde ihn anrufen müssen, um den Termin zu verschieben – falls sie am Telephon überhaupt durchkam –, oder vielleicht könnte sie es doch noch schaffen, wenn sie sich beeilte.
    Letzten Endes beschloß sie, eine Droschke zum Institut zu nehmen, wo sie Professor Durward auch tatsächlich noch antraf, der sie offenbar vollkommen vergessen hatte, und sie blieb den ganzen Nachmittag dort und untersuchte mit ihm einige seiner Schützlinge – eine Ladung von zwölf Rhesusaffen aus Indien. Sie starrten sie aus ihren Käfigen an, fahlgelbe Bündel aus Gliedmaßen und witzigen Gesichtern, und ihre Zehen und Finger wirkten so menschenähnlich, wenn sie den Draht umklammerten oder sich und ihre Babys putzten. Es waren zwei Jungtiere dabei, wie sie sich erinnerte, winzige Klammerwesen, die auf der Überfahrt nach Amerika geboren waren, jedenfalls behauptete das Professor Durward.
    Es war später Nachmittag, als sie heimkam, und dort fand sie Stanley vor, der auf der Treppe auf sie wartete, in höchstem Maße erregt. Sein Kragen war zerfetzt, er hatte eine Schramme über dem linken Auge, und auf seiner Unterlippe prangte eine gelbliche Kruste. Er hatte sich geprügelt, mit dem Zahnarzt oder mit der Sprechstundenhilfe oder einem Mann im Wartezimmer oder dem Droschkenfahrer, der ihn hingebracht hatte, das sah sie sofort, eine von tausend Prügeleien, und das würde immer so weitergehen, bis ihn jemand aufhielt. Oder umbrachte. Sie musterte ihn kurz und wäre am liebsten weitergegangen, sie hatte ihn gründlich satt, war bereit, ihn fallenzulassen, zurück zu seiner Mutter zu schicken oder sonstwohin, aber die Entscheidung lag nicht bei ihr, diesmal nicht.
    In dem Moment, da er sie erblickte, sprang er auf und packte sie am Arm. »Du – du kannst mich nicht einfach so im Stich lassen«, sagte er, ganz atemlos, über dem zerrissenen Kragen traten die Adern an seinem Hals hervor. »Wer war es?« wollte er wissen, während er sie die Stufen hinauf und gegen das harte Holz der Tür drängte. »Einer deiner Verehrer? But-Butler Ames?
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