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Ritualmord

Titel: Ritualmord
Autoren: Mo Hayder
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»Na, okay. Dann bin ich hier fertig.«
    Er hatte die Tür geöffnet und war schon halb draußen, als er plötzlich innehielt. Mit dem Rücken zu ihnen, die Hand auf der Türklinke, schaute er hinaus in den Küchengang, und vielleicht spürte er, dass die beiden ihn schweigend beobachteten.
    Es dauerte zwei, drei Herzschläge, bevor er sich umdrehte.
    »Was?« Sein Blick ging zwischen Dundas und Flea hin und her. »Es ist ein Selbstmord. Wie verfahren Sie normalerweise bei einem Selbstmord?«
    »Wenn wir keinen Hotspot haben? Keinen Zeugen?«
    »Ja?«
    »Na ja, äh, wir warten, bis er schwimmt.« Flea benutzte das Wort »schwimmen« behutsam. Im Team sagten sie es so oft, dass sie gelassen damit umgingen und manchmal vergaßen, was es bedeutete: dass eine Leiche so voll von Verwesungsgasen war, dass sie an die Oberfläche trieb. »Wir warten, bis er schwimmt, und fischen ihn dann von der Oberfläche. Bei diesem Wetter dürfte das zwei Wochen dauern.«
    »Dachte ich mir. So machen sie es in London auch.« Er wollte sich wieder zum Gehen wenden, aber diesmal hatte er offenbar den Blick gesehen, den Dundas Flea zuwarf, denn er blieb stehen. Er schloss die Tür und kam näher. »Okay«, sagte er langsam. »Sie wollen mir irgen detwas erklären. Das Problem ist nur, ich habe keine Ahnung, was.« 
    Flea holte tief Luft. Sie drehte sich um, stützte die Knie auf die Ellbogen und schaute ihm in die Augen. »Hat der Cheftechniker es Ihnen nicht erzählt? Hat er Ihnen nicht gesagt, dass wir nicht von einem Selbstmord ausgehen?«
    »Sie haben soeben erklärt, Sie haben hier draußen eine Million Selbstmorde.«
    »Ja. Im Avon. Wenn es im Avon gewesen wäre, würden wir es verstehen. Aber das war es nicht. Es war im Hafen.«
    Sie stand auf und blieb stehen; mit einer Hand hielt sie den Stuhl fest, als könnte er sie schützen. Sie ließ es sich nicht anmerken, aber ihr war sehr bewusst, dass er groß war und irgendwie schlank und muskulös unter dem Anzug. Sie wusste, wenn sie näher heranginge, würde sie ihn womöglich anstarren, denn ein paar Dinge waren ihr bereits aufgefallen – zum Beispiel die Stelle über seinem Kragen, wo der nachmittägliche Bartschatten begann. »Wir sind keine Pathologen«, fuhr sie fort. »Wir sollten Ihnen gar nichts sagen. Aber etwas stimmt da nicht.« Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und warf Dundas einen Seitenblick zu. »Ich meine – erstens hat die Hand weniger als einen Tag im Wasser gelegen. Eine Leiche löst sich in rauem Gewässer erst auf, wenn sie sehr lange geschwommen ist. Die Hand hier ist viel zu frisch.«
    Caffery legte den Kopf schräg und zog die Brauen hoch.
    »Ja. Und wenn Tiere sie abgebissen hätten – Fische oder vielleicht Hafenratten –, dann wäre sie von Bissspuren übersät. Ist sie aber nicht. Die einzige Verletzung«, sie hob die Hand und umschloss ihr Handgelenk mit Daumen und Zeigefinger, »ist hier. Da, wo sie vom Arm abgetrennt wurde. Der Cheftechniker sieht die Sache genauso.«
    Caffery stand vor ihr und betrachtete ihr Haar und ihre dünnen Arme in der Thermojacke. Sie konnte das nicht ausstehen. Sie hatte immer das Gefühl, dass ihre Haut nicht richtig saß, wenn sie auf dem Trockenen war, wo andere Leute raffinierte Dinge mit ihren Beziehungen anstellten – und des 
    halb würde sie sich unter Wasser immer wohler fühlen. Mum, dachte sie, Mum, du würdest wissen, wie das hier geht. Du würdest normal aussehen, nicht miesepetrig wie ich.
    »Und?« Er musterte sie nachdenklich. »Was könnte eine solche Verletzung hervorgerufen haben?«
    »Ein Bootsunfall vielleicht. Aber das passiert weiter draußen, in der Mündung. Dann gibt es Leute, die von der Clifton Bridge springen. Selbstmörderbrücke nennen wir sie. Wenn jemand hier in der Gegend ins Wasser springt, tut er es in neun von zehn Fällen da. Sie können dann flussauf- und -abwärts treiben, und manchmal – manchmal, wenn die Tide stimmt – geraten sie ziemlich weit stromaufwärts.« Sie zuckte die Achseln. »Ich nehme an, theoretisch, wenn einer von der Brücke springt und draußen auf dem Fluss von einem Boot zerfetzt wird, dann könnte eine einzelne Hand vielleicht knapp an den Sperrwerken vorbeikommen und im Hafen landen. Oder durch den Cut herauftreiben.« Sie strich sich das Haar hinter die Ohren. »Aber nein. Das ist unmöglich.«
    »Unmöglich«, bestätigte Dundas. »Die Chance ist eine Million zu eins. Und selbst wenn sie aus dem Frome River käme oder weiter stromauf aus dem
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