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Ritualmord

Titel: Ritualmord
Autoren: Mo Hayder
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Er hatte einen Sohn, Jonah – einen erwachsenen Sohn, der ihm und seiner Exfrau Geld stahl, um seinen Drogenkonsum zu finanzieren, und der seinen Vater trotzdem mit den gleichen Schuldgefühlen plagte, die Flea ihrem Bruder Thom gegenüber empfand, und zwar immer. Sie und Dundas hatten viel gemeinsam.
    »Ja«, sagte sie schließlich. »Es ist immer noch beschissen. Noch nach all der Zeit.«
    »Zwei Jahre.« Er schob eine Hand unter ihren Arm und half ihr beim Aufstehen. »Das ist keine lange Zeit. Aber ich kann Ihnen sagen, was helfen würde.«
    »Was?«
    »Wenn Sie zur Abwechslung mal was essen würden. Blöde Idee, ich weiß schon, aber vielleicht könnten sie dann besser schlafen.«
    Sie lächelte matt und legte ihm eine Hand auf die Schulter, damit er sie hochziehen konnte. »Sie haben recht. Ich sollte was essen. Ist was im Wagen?«
    2
    13. Mai
    Das »Station« war das Polizeibootshaus gewesen, bevor es verkauft und renoviert worden war, und deshalb glaubte der neue Eigentümer, es sei nicht recht, wenn er sich jetzt nicht seinerseits gefällig zeigen und der Polizei erlauben würde, es in der Stunde der Not zu benutzen. Er hatte ihnen einen Raum 
    hinter dem Restaurant zugeteilt, neben der Küche, und dort war es wärmer als im Van. Früher war es der Spindraum der Polizei gewesen, jetzt zog sich hier das Personal um. Ihre Straßenkleider hingen an Haken, und Outdoorstiefel und Taschen lagen unter der Bank, die ringsum an der Wand entlangführte.
    Während Dundas loszog, um in der Küche zu stöbern, nahm Flea ihre schwarze Sporttasche und fing an, sich auszuziehen. Sie schälte den Taucheranzug und die zur Ausstattung gehörende Thermounterjacke bis zur Hüfte herunter. Die Thermojacke behielt sie an, rollte den Neoprenanzug bis zu den Knöcheln herunter und schleuderte die Taucherstiefel von den Füßen. Sie hielt inne und starrte auf ihre Füße hinunter, weil sie allein war und es sich erlauben konnte. Sie streckte die Zehen, inspizierte die kleinen Lücken zwischen den Zehen und rieb die Häutchen dort, bis sie rot wurden. Schwimmhäute. Schwimmhäute an ihren Füßen wie bei einem Frosch. »Froschmädchen« sollten sie sie nennen. Sie fasste das Häutchen zwischen der großen und der zweiten Zehe und bohrte die Fingernägel hinein. Der Schmerz schoss durch ihren Körper und ließ ihr Gehirn weiß aufglühen, aber sie ließ nicht locker, schloss die Augen und konzentrierte sich auf die Glut in ihren Adern. Der Personalbetreuer hatte ihr in ihrer halbjährlichen Sitzung gesagt, sie müsse jemandem ihre Füße zeigen und darüber sprechen, wie dieses Problem sich entwickelt habe – und können Sie mir rasch auf die Sprünge helfen? Wann ist diese Haut erschienen? War das um die Zeit des Unfalls herum?
    Aber sie hatte sie niemandem gezeigt. Nicht dem Betreuer, nicht dem Arzt. Irgendwann würde sie sich vermutlich operieren lassen müssen. Aber damit wollte sie warten, bis sie Schmerzen bekäme oder in ihren Bewegungen eingeschränkt wäre, oder bis sonst etwas einträte, das sie am Tauchen hindern könnte.
    Sie hörte ein Geräusch hinter sich, und hastig wühlte sie ihre 

    Socken aus der Sporttasche und zog sie an. Dundas kam mit einem Ciabatta in einer geblümten Papierserviette. Er hob eine Braue, als er sie im BH und mit heruntergerollter Thermojacke dasitzen sah, die Hände schützend um die Füße geschlungen.
    »Ah – wollen Sie sich nicht was anziehen? Der stellvertretende Ermittlungsleiter kommt her, um die Sache abzuschließen. Habe ihm gesagt, wo er uns findet.«
    Sie zog ein T-Shirt an, griff zum Handtuch und fing an, sich energisch die Haare zu frottieren. »Wo ist denn der Chef?«
    »Der hat ein Meeting wegen Operation Atrium. Interessiert ihn nicht, wenn wir hier mit einer Hand am Hafen herumkaspern. Er findet nicht, dass die Abteilung für Schwerstkriminalität sich mit uns abgeben soll. Er war schon vor zwanzig Minuten weg.«
    »Freut mich. Ich mag ihn nicht.« Sie dachte an die Besprechung, die kurz vorher stattgefunden hatte. Der diensthabende Ermittlungsleiter war ganz okay gewesen, aber sie hatte nie seinen Gesichtsausdruck vergessen, als er sie bei einer Tauchbesprechung drei Jahre zuvor zum ersten Mal gesehen hatte. Genau wie all die anderen Chefs wirkte er irgendwie deprimiert, wartete auf jemanden, der ein bisschen Autorität besäße, ihm Fragen nach dem Wasser beantwortete, und statt beruhigt zu werden, fand er Flea – neunundzwanzig, spindeldürr, mit einer dichten Mähne
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