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Ritualmord

Titel: Ritualmord
Autoren: Mo Hayder
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würde obduziert werden, ganz allein. Dann mussten die beiden Detective Sergeants drüben in Kingswood ein bisschen auf Trab gebracht werden; sie waren ihm zugewiesen worden, damit sie einen Raubüberfall bearbeiteten, und jetzt würde er ihnen noch ein kleines Extra dazugeben: Besuch bei Notfallambulanzen und Leichenschauhaus. Irgendwelche männlichen Leichen, denen die rechte Hand fehlte?
    Nachdem er ein paar Leute in Bristol auf die Palme gebracht hatte, steckte er das Telefon ein und ging über die Ter 
    rasse, bis er um die Polizeiabschirmung herum auf die Terrasse des Nachbarrestaurants schauen konnte, wo die Tauchercrew sich bereitmachte. The Moat hieß das Lokal. Das gefiel ihm – »Burggraben«, als wäre es etwas Mittelalterliches und nicht nur ein aufgemotztes Bootshaus mit ein paar nachgemachten ausgestopften Tieren an den Wänden. Jemand hatte den Geschäftsführer überredet, an diesem Abend nicht zu öffnen, und das Team hatte seine ganze Ausrüstung auf die Veranda gekippt. Das Zeug lag jetzt in den Pfützen herum. Dazwischen stakste, mit einer Tauchermaske hantierend, ein paar Worte mit dem Assistenten wechselnd und ihr Gurtwerk checkend, Sergeant Marley.
    Er stützte die Ellbogen auf die Balustrade, drehte sich eine Zigarette – er hatte es sich immer noch nicht abgewöhnen können, auch wenn die Regierung ihm jedes Mal, wenn er den Fernseher einschaltete, in den Ohren lag – und zündete sie an, und dabei beobachtete er sie aufmerksam. »Flea« – ein blöder Spitzname, aber irgendwie verstand er, warum sie ihn hatte. Selbst in ihrem Polizeitaucheranzug ging so etwas wie kinetische Energie von ihr aus, und etwas in ihrem Gesicht ließ ahnen, dass ihre Gedanken nie lange stillstanden. Es ärgerte ihn, dass er das alles an ihr bemerkte. Es ärgerte ihn, dass er, als er in den Umkleideraum gekommen war und sie dagesessen hatte, den Taucheranzug heruntergerollt, mit ihren nackten, dünnen braunen Armen und ihrem widerspenstigen blonden Strubbelhaar, das drahtig aussah, als hätte sie es in Meerwasser gewaschen, am liebsten wieder gegangen wäre, weil er plötzlich nichts anderes fühlen konnte als seinen eigenen Körper: den Kontakt mit seinen Kleidern, das Kratzen der Hose auf seinen Schenkeln, das Scheuern des Hosenbunds an seinem Bauch und die Stellen, die das Hemd am Hals berührten. Er musste sich bremsen. Das war etwas für jemand anderen. Für einen anderen Menschen an einem anderen Ort, vor langer Zeit. 

    »‘tschuldigung?«
    Er sah sich um. Eine kleine Frau stand hinter ihm. Ihr leuchtend rotes Haar war mit lauter bunten Bändern überall auf dem Kopf zu kleinen Büscheln zusammengebunden. Eine Kellnerin aus dem Station, nach ihrer Schürze zu urteilen.
    »Ja?«
    »Äh – « Sie wischte sich die Nase ab und warf einen Blick über die Schulter zum Restaurant, um sich zu vergewissern, dass sie nicht beobachtet wurde. »Darf ich fragen, was hier los ist?«
    »Sie dürfen.«
    Sie verschränkte fröstelnd die Arme, obwohl es nicht allzu kalt hier draußen war, nicht so kalt, dass es einen frösteln konnte. »Na, dann… Haben sie was gefunden?«
    Etwas an ihrer Stimme veranlasste ihn, sich umzudrehen und ein bisschen genauer hinzuschauen. Sie war klein und dünn, und unter der Schürze trug sie eine schwarze Combathose und ein T-Shirt mit der Aufschrift »Ich liebe dich mehr, wenn du so bist wie ich.«
    »Ja«, sagte er, »haben sie.«
    »Unter dem Ponton?«
    »Ja.«
    Sie zog einen Stuhl vom Tisch zurück, setzte sich und legte die Hände auf den Tisch. Caffery beobachtete sie. Sie trug zwei Ringe im Nasenflügel; die Piercings waren entzündet, und Caffery vermutete, dass sie daran herumfingerte, wenn sie nervös war. »Alles in Ordnung?«, fragte er. Er drückte seine Kippe aus, zog einen Stuhl heraus und setzte sich ihr gegenüber mit dem Rücken zum Moat. »Haben Sie was auf dem Herzen?«
    »Sie würden’s nicht glauben, wenn ich es Ihnen erzähle«, sagte sie. »Ich meine, ich seh’s an Ihrem Gesicht, dass Sie mir nicht glauben würden.«
    »Versuchen Sie es.«
    Sie verzog den Mund und betrachtete ihn nachdenklich. Sie hatte sehr helle Augen mit anämischen Wimpern. Ein paar 
    Pickel rings um die Nase waren mit Make-up zugekleistert. »Ich meine, sogar ich weiß, dass es irre klingt.«
    »Aber Sie möchten es mir erzählen. Oder?«
    Sie schwieg. Dann hob sie, wie er es vermutet hatte, die Hand und begann, mit einem Ring an ihrer Nase herumzuspielen; sie drehte und drehte ihn, bis
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