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Ritualmord

Titel: Ritualmord
Autoren: Mo Hayder
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dann, als er fertig ist, fragt der Gruppenleiter: »Mossy? Mossy? Woher hast du diesen Namen?«
    Er zuckt die Achseln. »Keine Ahnung. Haben die Kumpels sich ausgedacht. Weil ich bloß Haut und Knochen bin, wie das Model da. Kate Moss.«
    Es ist eine Weile still, und niemand außer dem Gruppenleiter sieht ihn an.
    »Meinst du nicht, das könnte anstößig wirken?«, fragt er, und Mossy weiß sofort, dass der Unterton der falsche ist, eine Art Warnung. Also wird es Zeit auszusteigen, und er brummelt, er wolle niemanden beleidigen, und wartet auf einen Themawechsel. Dann steht er auf, so leise er kann, schiebt den Plastikstuhl an die Wand und geht. Er verlässt die Klinik, zündet sich eine Selbstgedrehte an und sucht sich weiter unten an der Straße eine Stelle, wo er den Eingang der Klinik sehen kann und jeden, der da herauskommt. Er wartet und spürt, wie die Krämpfe langsam durch ihn hindurchgehen, von vorn nach hinten. Die sind die schlimmsten von allen Qualen, diese Krämpfe. Sie kommen als Erstes und gehen als Letztes. Er setzt sich hin, schlingt die Arme um den Bauch und fragt sich, ob es hier irgendwo ein Scheißhaus gibt. Es ist ein warmer Tag, und das hilft, und wenn er vor sich hin summt, lenkt ihn das ab.
    Nach einer Weile geht die Tür auf. Er spürt, dass der Gruppenleiter ihn anstarrt, aber er lässt sich nicht einschüchtern und wartet, während die anderen herauskommen. Wie eine Hyäne sucht er sich den aus, der am weichsten aussieht und am Rand der Herde mitzockelt, den, der auf eine Story hereinfallen 
    wird. Man kann sie erkennen; es hat was mit der Hoffnung in ihren Augen zu tun – als glaubten sie wirklich, dass Leute gerettet werden können. Mossy wartet, bis sie vorbeigehen, und dann latscht er neben ihnen her, die Hände in den Taschen, den Kopf ein bisschen gesenkt, sodass er ihn seitwärtsdrehen und murmeln kann: »Kannst du mir kurz aushelfen? Hmm? Hast du was dabei, nur ein bisschen? Ich geb’s dir zurück. Das versprech ich dir.« Aber sie brummen irgendwas und gehen mit gesenktem Kopf über die Straße, als wollten sie nicht mit ihm gesehen werden, und sie lassen ihn stehen. Das Schwitzen geht los und das Jucken, und als er zu seinem Platz zurückgeht, fühlt er, wie die Knochen seiner Kniegelenke sich aneinander wundscheuern. Liegt das daran, dass er zu dünn ist, oder ist es noch was anderes? Ist es, weil seine Haut irgendwas Verrücktes macht?
    Als sie weg sind, versucht er, eine Passantin um Geld anzuschnorren, aber sie ignoriert ihn, den Blick in die Ferne gerichtet, und nach einer Weile beschließt er, zum Hafen runterzugehen – mal sehen, ob da was läuft. Vielleicht ist einer von denen aus Barton Hill da und hat gute Laune. Wenn nicht, muss er sich was anderes überlegen.
    Er ist eben aufgestanden und losgeschlendert, als es passiert. Gerade noch ist er mit seinen üblen Gedanken allein, und im nächsten Moment läuft da neben ihm so ein kleiner, dürrer Schwarzer mit total dicht am Schädel anliegenden Haaren und einem dünnen Schnurrbart. Er trägt Jeans, die vorne maschinell vorgebleicht sind, und eine olivgrüne Kappajacke; die Kapuze hat er sich irgendwie um den Kopf drapiert, und Mossy erkennt ihn aus der Beratungssitzung wieder – er hat in der Ecke gesessen. Aber was Mossy vor allem auffällt, ist sein Gang: Er geht wie geölt. Als wäre er nicht hier auf den trockenen Straßen von Bristol geboren, sondern an einem besseren Ort. Als wäre er daran gewöhnt, Tag für Tag durch den Busch zu laufen. 

    »Suchst du was?«, fragt er. »Suchst du was?«
    Mossy bleibt stehen. »Ja, aber ich bin pleite.«
    Und das Irre ist, statt Mossy die Kopfnuss zu verpassen, mit der er rechnet, schaut ihm der dürre Typ in die Augen und sagt: »Mach dir keine Sorgen wegen Geld. Keine Sorge. Ich kenne jemanden, der dir helfen kann.«
    Und so fängt natürlich alles an.
    4
    13. Mai
    Die Spätnachmittagssonne war hinter den Wolken hervorgekommen, rot und ein bisschen geschwollen, aber im Restaurant Station brannten schon die Tischlampen. Der Laden füllte sich allmählich; Leute kamen herein, zogen ihre Jacken aus, bestellten etwas zu trinken. Es war zu kühl, um draußen zu sitzen, und die Veranda war menschenleer; also ging Caffery hinaus, um seine Telefonate zu erledigen. Der Superintendent musste ein bisschen bearbeitet werden, damit er ernst nahm, was die Taucher und der Cheftechniker sagten, und dem Fall eine Prioritätsstufe zuwies, bevor die Obduktion stattfand – denn die Hand
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