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Ein diskreter Held

Ein diskreter Held

Titel: Ein diskreter Held
Autoren: Mario Vargas Llosa
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I
    Felícito Yanaqué, Inhaber der Firma Transportes Narihualá, trat an jenem Morgen, so wie jeden Tag von Montag bis Samstag, Punkt halb acht aus seinem Haus, nachdem er eine halbe Stunde Qigong gemacht, kalt geduscht und sich das übliche Frühstück bereitet hatte: Kaffee mit Ziegenmilch und Röstbrot mit Butter, darauf ein paar Tropfen Zuckersirup. Er wohnte im Zentrum von Piura, und auf der Calle Arequipa war der Lärm der Stadt schon losgebrochen, über die hohen Bürgersteige strömten die Menschen auf dem Weg zum Büro, zum Markt, oder sie brachten die Kinder zur Schule. Ein paar fromme Seelen begaben sich in die Kathedrale für die Messe um acht. Die fliegenden Händler riefen lauthals ihre Ware aus, Honigpaste, Lutscher, Teigtaschen, Bananenchips, alle möglichen Leckereien, und an der Ecke, unter dem Dachvorsprung des Gebäudes aus der Kolonialzeit, hatte sich auch schon der blinde Lucindo niedergelassen, das Bettelschälchen zu seinen Füßen. Alles genau wie jeden Tag, seit unvordenklicher Zeit.
    Mit einer Ausnahme. Am Morgen hatte jemand an die alte, mit Nägeln beschlagene Holztür seines Hauses, in Höhe des bronzenen Türklopfers, einen blauen Umschlag geheftet, auf dem in Großbuchstaben deutlich der Name des Hausbesitzers stand: DON FELÍCITO YANAQUÉ. Soweit er sich erinnerte, war es das erste Mal, dass ihm jemand auf diese Weise einen Brief zustellte, wie einen gerichtlichen Bescheid oder einen Strafzettel. Normalerweise schob der Briefträger die Post durch den Türspalt. Er nahm den Umschlag ab, öffnete ihn und las stumm, nur seine Lippen bewegten sich:

    Werter Herr Yanaqué,
    dass es Ihrer Firma Transportes Narihualá so gutgeht, darauf können Piura und alle Bürger der Stadt stolz sein. Aber es ist auch ein Risiko, denn jedes erfolgreiche Unternehmen läuft Gefahr, von nachtragenden, neidischen oder notleidenden Menschen geplündert und verwüstet zu werden, Menschen, von denen es hier allzu viele gibt, wie Sie selber wissen. Aber machen Sie sich keine Sorgen. Unsere Organisation wird sich darum kümmern, Ihr Unternehmen ebenso wie Sie und Ihre werte Familie vor jedem Zwischenfall, jeder Unannehmlichkeit oder Bedrohung durch diese Halunken zu schützen. Als Vergütung für unsere Tätigkeit nehmen wir monatlich 500 Dollar (eine gewiss bescheidene Summe bei Ihrem Vermögen). Zu den Zahlungsmodalitäten werden wir uns zu gegebener Zeit mit Ihnen in Verbindung setzen.
    Wir müssen nicht eigens betonen, wie wichtig es ist, dass Sie die Sache mit der größten Diskretion behandeln. Das alles muss zwischen uns bleiben.
    Gott befohlen.
    Statt einer Unterschrift trug der Brief die plumpe Zeichnung von etwas, was wie eine kleine Spinne aussah.
    Don Felícito las ihn noch einige Male, betrachtete die tänzelnde Schrift, die Tintenkleckse. Er war überrascht und belustigt und hatte das vage Gefühl, dass es sich um einen schlechten Scherz handelte. Er zerknüllte den Brief mitsamt Umschlag und wollte ihn schon an der Straßenecke in die Mülltonne werfen. Aber dann überlegte er es sich anders, strich ihn glatt und steckte ihn ein.
    Es waren gut zehn Blocks von seinem Haus in der Calle Arequipa bis zu seinem Büro an der Avenida Sánchez Cerro. Diesmal ging er nicht, während er den Weg zu Fuß lief, die Termine des Tages durch, so wie sonst immer, sondern grübelte über den Brief mit der kleinen Spinne nach. Sollte er ihn ernst nehmen? Zur Polizei gehen und Anzeige erstatten? Die Erpresserhatten angekündigt, sie würden sich wegen der »Zahlungsmodalitäten« mit ihm in Verbindung setzen. Also lieber warten, bis sie sich meldeten, ehe er zum Revier ging? Vielleicht war es auch bloß irgendein Lümmel, der nichts Besseres zu tun hatte, als ihm den Tag zu verderben. Andererseits hatte in letzter Zeit die Kriminalität in Piura zugenommen: Hauseinbrüche, Straßenüberfälle bis hin zu Entführungen, die, wie es hieß, die Familien dieser Weißen von El Chipe und Los Ejidos heimlich arrangierten. Er fühlte sich verwirrt und unentschlossen, doch eins war für ihn gewiss: Nie und nimmer würde er, egal was passierte, diesen Banditen auch nur einen einzigen Centavo geben. Und abermals, wie so oft in seinem Leben, erinnerte sich Felícito an die letzten Worte seines Vaters auf dem Sterbebett: »Lass dich niemals von irgendwem herumschubsen, mein Sohn. Dieser Rat ist das Einzige, was ich dir vermachen kann.« Er hatte ihn beherzigt, nie hatte er sich herumschubsen lassen. Und mit seinem guten halben
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