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Ritter-Geist

Titel: Ritter-Geist
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anscheinend eines der Experimente der Natur, das nicht funktioniert hatte. Die verschärfte Auspr ä gung seiner Eigenarten beim Anflug auf Ivy und ihren gewalttät i gen Tagtraum hatte dafür gesorgt, daß das Wesen auseinanderg e brochen und sich selbst zerstört hatte.
    Ivy schritt weiter, froh, an dem Katzfalken vorbeigekommen zu sein, doch traurig, auf welche Weise dies geschehen war. Noch immer suchte sie nach einem Eingangstor. Da gelangte sie an eine Stelle, wo sich ein einzelner Kopfstein befand. Er besaß die Form eines alten Männerkopfes, mit spärlichem, steingrauem Haar und weißem Bart. Er sah fast lebendig aus, was sich noch verstärkte, als sie ihn ansah; er hielt seinen steinernen Blick auf sie gerichtet. Ganz langsam schloß sich eines der mineralischen Augen zu einem Zwinkern.
    »Du lebst ja!« rief sie erschrocken.
    »Nein, Häschen, ich bin bloß kalter Stein«, erwiderte er. »Ich nehme die Gestalt des Kopfes desjenigen an, der in meiner Nähe beerdigt ist. So bin ich eben. Ich bin ein Kopfstein.«
    »Das heißt also, daß du aussiehst wie…«, fing sie an und blickte auf das längliche Erdding vor ihm.
    »Ganz genau, Winzling. Wie der großmäulige alte Mann, der hier beerdigt ist.« Für Ivys Ohren klang er zwar eher wie ein großmä u liger Golem, doch möglicherweise waren ja alle Großmäuler gleich.
    »Das ist aber interessant«, bemerkte Ivy. Dieser Kopfstein schien keine besonders gefährliche Bedrohung darzustellen.
    »Letztes Jahr hat man mich neben eine wunderschöne tote junge Frau gepflanzt; da hättest du mich mal sehen sollen! Da sah meine Oberfläche aus wie polierter Alabaster, und ich hatte eine wunde r schöne Gestalt.«
    »Das ist ja hübsch«, sagte Ivy und verlor das Interesse. »Ich muß jetzt gehen.«
    »Ah, aber wenn du versuchst, an mir vorbeizukommen, dann schreie ich, und dann wirst du ordentlich gebürstet«, warnte der Kopfstein.
    »Äh bäh!« machte sie. »Du kannst doch überhaupt nichts, Felskopp!« Trotzig ging sie weiter.
    »Alarm! Unbefugter Eindringling!« schrie der Kopfstein laut. »Undiszipliniertes Kind! Wahrscheinlich eine richtig schlimme Göre! Bürstet sie!«
    Da kam der schrecklichste Gegenstand um das Schloß herumg e flogen, den Ivy sich nur vorstellen konnte: eine riesige Haarbürste. Sofort jagte sie denselben Weg zurück, den sie gekommen war, wobei sie schützend ihr Hinterteil bedeckte. Dieser Kopfstein hatte wirklich nicht geblufft!
    Ivy drückte sich gegen die Wand, damit ihr zarter Hintern nicht freiblieb. Was sollte sie nun tun? Dieser Gefahr konnte sie sich nicht entgegenstellen… sie durfte ihr aber auch nicht den Rücken kehren.
    Die Bürste blieb einen Augenblick schweben. Dann, als sie kein freches Hinterteil erspähte, flog sie wieder zurück. Ivy beruhigte sich etwas; diesmal war sie noch davongekommen.
    Doch sie wußte mit gräßlicher Gewißheit, daß der Kopfstein beim nächsten Versuch wieder eine laute Warnung ausstoßen wü r de, und dann würde diese entsetzliche Bürste zurückkehren. Sie saß in der Klemme. Sie war zwar ein einigermaßen selbstsicheres kleines Mädchen, aber diese Bürste! Irgendwie mußte sie sie lo s werden!
    Da hatte sie eine weitere Idee, denn ihr Geist steckte voller Ideen, von denen manche beinahe so süß waren wie sie selbst. Angenommen, daß sie statt dessen den Kopfstein neutralisieren konnte? Wenn sie dieses Großmaul nur irgendwie daran hindern könnte, loszupetzen, es irgendwie zum Schweigen bringen…
    Sie blickte wieder in ihren Beutel. Vielleicht sollte sie endlich einmal kreativ werden. Stein, Hufeisen, toter Falter. Nichts da, was…
    Da hatte sie einen Geistesblitz, der ebenso grell war wie die gle i ßende Lampe, die sie mit der Dunkellaterne bekämpft hatte. Ja, es gab einen Ausweg. Vielleicht!
    Sie schritt zu dem Kopfstein hinüber. »Hallo, Steinhirn!« sagte sie tapfer.
    Das steinerne Auge musterte sie steinern. »Du schon wieder, dumme Kuh? Wenn du versuchst, hier herüberzukommen, dann werde ich dafür sorgen, daß du diesmal wirklich ordentlich mit der Bürste behandelt wirst. Dann kannst du dich hinterher nicht mehr hinsetzen, ohne daß dein Stuhl Blasen bekommt!«
    »Ich habe etwas für dich«, erwiderte sie und holte den toten Mondfalter hervor. »Laß mich nur mal eben ein bißchen Erde n e ben dir aufbuddeln…« Sie grub ein kleines Loch.
    »Das sieht nicht nach sehr viel aus«, bemerkte der Kopfstein. »Wenn du zu tief graben solltest, stößt du vielleicht auf etwas,
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