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Ripley Under Ground

Ripley Under Ground

Titel: Ripley Under Ground
Autoren: Patricia Highsmith
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nur aus Spaß, denn er war ein schlechter Maler und wußte es auch. Schlechter als Dickie. Doch heute abend hatte er keine Lust. Er setzte sich hin und schrieb einen Brief an einen amerikanischen Freund in Hamburg, Reeves Minot, den er fragte, wann er ihn – Tom – wieder brauchen werde. Reeves sollte einen Mikrofilm oder so etwas im Gepäck eines italienischen Grafen Bertolozzi verstecken. Der Graf wollte Tom in Ville-perce auf einen oder zwei Tage besuchen; dann wollte Tom den Gegenstand dort, wo er verborgen war – das würde er von Reeves erfahren –, herausnehmen und ihn an einen Mann in Paris, den er nicht kannte, schicken. Diese Art kleiner Hehlerdienste übernahm Tom häufig. Oft handelte es sich um Schmuckdiebstähle. Es war einfacher für Tom, die Sachen aus dem Gepäck eines Gastes zu entfernen, als wenn jemand das gleiche in einem Pariser Hotelzimmer ausführte, während der Überbringer nicht im Hotel war.
Den Grafen Bertolozzi kannte Tom flüchtig von einer kürzlichen Reisebegegnung in Mailand; auch Reeves, der sonst in Hamburg lebte, war in Mailand dabeigewesen. Tom hatte sich mit dem Grafen über Gemälde unterhalten. Meistens fiel es Tom leicht, Leute mit etwas Zeit und Muße zu einem Besuch in Villeperce zu bewegen, wo sie dann einen oder zwei Tage blieben und sich seine Bilder ansahen. Außer den Derwatts besaß er einen Soutine, dessen Bilder er besonders liebte, einen Van Gogh, zwei Magrittes und dann Zeichnungen von Cocteau und Picasso, auch Zeichnungen von weniger berühmten Künstlern, die er für ebenso gut oder sogar besser hielt. Villeperce lag nicht weit von Paris, und den meisten Gästen gefiel es, ein bißchen Landluft zu atmen, bevor sie in die Stadt fuhren. Tom holte sie häufig mit dem Wagen vom Flugplatz in Orly ab. Villeperce lag etwa vierzig Meilen südlich von Orly. Ein einzigesmal war die Sache mißlungen: da war der amerikanische Gast sofort nach der Ankunft bei Tom krank geworden – er hatte offenbar vorher etwas gegessen, was ihm nicht bekommen war –, und Tom konnte nicht an den Koffer herankommen, weil der Gast dauernd wach in seinem Zimmer war. Der betreffende Gegenstand – irgendein Mikrofilm – war dann mit einiger Mühe von einem Vertrauensmann von Reeves in Paris herausgeholt worden. Tom verstand nicht immer, um was es bei diesen Dingen ging und wie wertvoll sie waren, aber das begriff er auch bei Spionageromanen nicht immer. Reeves war selbst auch bloß Hehler und erhielt einen bestimmten Prozentsatz. Tom fuhr jedesmal in eine andere Stadt, wenn er die Sachen schickte, und er sandte sie stets unter einem falschen Namen und fiktiver Adresse.
Heute abend konnte er nicht einschlafen. Nach einer Weile stand er auf, zog seinen rotwollenen Hausmantel an – er war neu und aus dickem Stoff, mit vielen militärischen Verzierungen, ein Geburtstagsgeschenk von Heloise – und stieg nach unten in die Küche. Er hatte vorgehabt, eine Flasche Bier mit nach oben zu nehmen, aber jetzt wollte er lieber Tee machen. Tee trank er fast nie, das paßte also ganz gut, denn er hatte das Gefühl, es sei eine seltsame Nacht. Auf den Zehenspitzen schlich er durch die Küche, um Mme. Annette nicht zu wecken. Der Tee, den er dann machte, war dunkelrot; er hatte zuviel genommen. Er trug das Tablett ins Wohnzimmer, schenkte sich eine Tasse ein und ging lautlos in Filzhausschuhen im Zimmer auf und ab. Derwatt. Konnte er selbst nicht Derwatt darstellen? Mein Gott, ja – das war´s. Das war die Lösung, die perfekte und auch die einzige Lösung.
Derwatt war ungefähr im gleichen Alter, jedenfalls nicht weit entfernt; Tom war einunddreißig, und Derwatt wäre jetzt etwa fünfunddreißig. Blaugraue Augen, so hatte sie Cynthia, Bernards Freundin, oder vielleicht auch Bernard selber einmal in einer der schwärmerischen Schilderungen von Derwatt, dem Unbefleckbaren, beschrieben. Derwatt hatte einen kurzen Bart gehabt – das wäre natürlich für Tom eine große Hilfe.
Jeff Constant würde sicher jubeln über die Idee. Ein Presse-Interview – Tom mußte sich überlegen, welche Fragen er vielleicht beantworten und welche Stories er erzählen sollte. Ob Derwatt ebenso groß war wie er? Na, wer von den Presseleuten wußte das schon. Derwatts Haar war vielleicht etwas dunkler gewesen, aber das ließ sich ja machen. Tom trank noch mehr Tee und ging weiter im Zimmer hin und her. Er mußte natürlich überraschend erscheinen, überraschend angeblich auch für Jeff und Ed – und selbstverständlich
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