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Ripley Under Ground

Ripley Under Ground

Titel: Ripley Under Ground
Autoren: Patricia Highsmith
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für Bernard. Das würde man jedenfalls der Presse mitteilen.
Tom malte sich das Zusammentreffen mit Mr. Thomas Murchison aus. Ruhig und sicher mußte er auftreten, das war die Hauptsache. Wenn Derwatt ein Bild als das seine ausgab und sagte, er habe es gemalt, dann hatte Murchison ja wohl kaum das Recht, ihm zu widersprechen.
Eine Woge der Begeisterung brachte Tom ans Telefon. Es war jetzt kurz nach zwei Uhr morgens; die Telefonistinnen waren um diese Zeit oft eingeschlafen und brauchten zehn Minuten, um sich zu melden. Geduldig saß Tom auf der Kante des gelben Sofas und dachte nach. Jeff oder sonst jemand mußte ein wirklich tadelloses Make-up für ihn bereithalten. Schade, dachte Tom, daß da keine Frau war, auf die man sich verlassen konnte und die das in die Hand nehmen würde, Cynthia zum Beispiel; aber Cynthia und Bernard hatten sich vor zwei oder drei Jahren getrennt. Cynthia war über die Sache mit Derwatt im Bilde, auch über Bernards Fälschungen; aber sie hatte nie mitgemacht und auch nie einen Pfennig der Gelder angenommen, das wußte Tom noch.
»´Allo – j´écoute «, sagte die Telefonistin mit gereizter Stimme, als ob Tom sie aus dem Bett geholt und um einen Gefallen gebeten hätte. Tom nannte die Nummer von Jeffs Fotoatelier; sie stand in einem Adreßbuch, das neben dem Telefon lag. Er hatte Glück, nach fünf Minuten war der Anruf da. Er zog sich die dritte Tasse seiner trüben Teebrühe näher an den Apparat.
»Hallo, Jeff – hier ist Tom. Wie steht die Sache?«
»Noch ebenso. Ed ist hier; wir wollten dich gerade anrufen. Kommst du rüber?«
»Ja, und ich habe noch eine bessere Idee. Was würdest du sagen, wenn ich für ein paar Stunden die Rolle von – die Rolle unseres verschwundenen Freundes übernähme?«
Es dauerte einen Augenblick, bis Jeff verstanden hatte. »Tom – das ist großartig. Kannst du bis Dienstag hier sein?«
»Ja, das kann ich bestimmt.«
»Geht es auch schon Montag? Übermorgen?«
»Nein, das glaube ich nicht. Aber Dienstag: ja. Jetzt hör mal zu, Jeff. Das Make-up und die Kostümierung: das muß ganz erstklassig sein, hörst du?«
»Da mach dir keine Sorgen, Tom! Warte mal eine Sekunde.« Er legte den Hörer hin und sprach ein paar Worte zu Ed, dann kam er wieder. »Ed sagt, er hat da eine – eine Quelle.«
»Erzähl es lieber nicht allen Leuten.« Tom sprach ganz ruhig weiter, denn Jeff machte den Eindruck, als sei er vor Freude ganz außer sich. »Noch eins. Sollte es nicht klappen – sollte es mir irgendwie mißlingen, dann müssen wir sagen, es handele sich bloß um einen Scherz, den sich einer deiner Freunde ausgedacht hat: nämlich ich. Und daß es mit – du weißt schon, mit dem hat es überhaupt nichts zu tun.« Tom meinte die Echtheitserklärung von Murchisons gefälschtem Bild. Jeff verstand sofort.
»Ed will dir noch eben was sagen.«
»Hallo, Tom – Tag«, sagte Eds tiefere Stimme. »Wunderbar, daß du rüberkommst. Großartige Idee von dir. Und weißt du was? Bernard hat noch ein paar von – von seinen alten Kleidern und Sachen.«
»Das überlasse ich euch.« Eine plötzliche Unruhe hatte Tom ergriffen. »Die Kleidung ist das wenigste, das kriegen wir schon hin. Das wichtigste ist das Gesicht. Ihr besorgt doch sofort alles Nötige, ja?«
»Klar tun wir das. Wiedersehen.«
Beide legten auf. Dann ließ sich Tom wieder auf das Sofa fallen, fast horizontal. Nein, er wollte nicht zu früh in London ankommen. Im letzten Moment wollte er auf der Bühne erscheinen, kühn und unbeirrt. Zu viele Proben und Instruktionen konnten von Übel sein.
Tom stand auf; sein Tee war kalt geworden. Es wäre komisch und sehr amüsant, wenn er es wirklich fertigbrachte, dachte er, als er auf den Derwatt über dem Kamin starrte. Es war ein rötliches Bild von einem Mann im Sessel; der Mann hatte mehrere Umrisse, so daß es dem Beschauer vorkam, als betrachte er das Bild durch eine entstellende Brille. Manche Leute behaupteten, die Augen täten ihnen weh, wenn sie einen Derwatt ansähen, aber in drei oder vier Meter Entfernung war das anders. Dies hier war kein echter Derwatt, sondern eine frühe Fälschung von Bernard Tufts. Auf der anderen Zimmerseite hing ein echter Derwatt, ›Die roten Stühle‹: zwei kleine Mädchen mit erschreckten Gesichtern saßen nebeneinander, wie am ersten Schultag oder in der Kirche, wenn etwas Schlimmes verkündet wurde. Der Hintergrund – was immer er darstellen sollte – stand in Flammen; gelbrote Feuerzungen schossen umher, manche von
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