Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ripley Under Ground

Ripley Under Ground

Titel: Ripley Under Ground
Autoren: Patricia Highsmith
Vom Netzwerk:
Griechenland!«
    Mme. Annette polierte die bereits schimmernde Oberfläche einer schweren Eichenkommode neben dem Kamin. »Schauen Sie! In Villeperce gibt es keine Sonne. Der Winter ist da.«
    »Ja.« Mme. Annette sagte seit einiger Zeit täglich das gleiche.
Tom erwartete Heloise erst kurz vor Weihnachten zurück. Es war aber auch durchaus denkbar, daß sie ganz plötzlich und unerwartet wiederauftauchte – weil sie einen kleinen und keineswegs irreparablen Streit mit ihren Freunden gehabt hatte, oder einfach, weil ihr die Lust ausging, so lange auf einem Schiff zu bleiben. Heloise war sehr impulsiv.
Tom legte zur Aufmunterung eine Beatles-Platte auf und ging dann, die Hände in den Taschen, in dem großen Wohnraum auf und ab. Er liebte das Haus. Es war ein zweistöckiger quadratischer grauer Steinbau mit vier Türmchen über vier abgerundeten Zimmern in den oberen Ecken: ein wenig wie ein kleines Schloß. Der Garten war sehr groß, und das Haus hatte selbst nach amerikanischen Begriffen ein Vermögen gekostet. Heloises Vater hatte es ihnen vor drei Jahren zur Hochzeit geschenkt. Vor seiner Heirat hatte Tom zusätzliches Geld gebraucht; das Geld von Greenleafs hatte nicht ausgereicht für die Art von Leben, die er jetzt schätzte; daher war er erpicht gewesen auf seinen Anteil an der Derwatt-Sache. Jetzt tat ihm das leid. Er hatte die zehn Prozent akzeptiert zu einer Zeit, als zehn Prozent sehr wenig waren. Selbst er hatte nicht geahnt, daß Derwatt Ltd. derartig florieren würde.
Tom verbrachte den Abend wie die meisten seiner Abende, ruhig und allein, doch in Gedanken war er nicht so gelassen. Beim Essen spielte er leise Stereo-Musik und las Servan-Schreiber auf französisch. Zwei Worte kannte er nicht, die wollte er heute abend im Wörterbuch nachsehen, das neben seinem Bett lag. Er hatte Übung darin, sich Worte zu merken, die er nachsehen wollte.
Nach dem Essen schlüpfte er in einen Regenmantel, obgleich es nicht regnete, und ging in eine kleine Kneipe, die knapp fünfhundert Meter entfernt lag. Dort trank er abends manchmal an der Theke einen Kaffee. Stets erkundigte sich der Besitzer – Georges hieß er – nach Mme. Heloise und bedauerte Tom, weil er so viel allein war. Heute erwiderte ihm Tom munter:
»Ach, ich glaube nicht, daß sie es noch zwei Monate auf der Jacht da aushält. Allmählich wird es ihr langweilig.«
»Quel luxe «, sagte Georges versonnen. Er war ein beleibter Mann mit rundem Gesicht; aber Tom traute seiner stillen Gutgelauntheit nicht ganz. Marie, seine Frau, eine starke, energische Brünette mit hellrot geschminkten Lippen, war geradeheraus, laut und unangenehm, nur ihr ungestüm fröhliches Lachen wirkte versöhnlich. Das Lokal war eine Arbeiterkneipe, wogegen Tom nichts einzuwenden hatte, doch es war nicht sein Lieblingslokal, es war nur das nächstgelegene. Und wenigstens hatten Georges und Marie noch niemals ein Wort von Dickie Greenleaf erwähnt, wie es ein paar Leute in Paris – Bekannte von Tom oder Heloise – und auch der Besitzer des einzigen Hotels in Villeperce, des St. Pierre, getan hatten. Der Hotelier hatte direkt gefragt: »Sind Sie vielleicht der M. Ripley – der Freund von dem Amerikaner Greenleaf?«, was Tom bejahen mußte. Das war nun drei Jahre her, und diese Fragen – auch wenn sie noch etwas weiter gingen – beunruhigten Tom jetzt nicht mehr. Immerhin: lieber vermied er das Thema. In den Zeitungen war damals berichtet worden, Dickie habe ihm in seinem Testament eine hübsche Summe vermacht; einige schrieben sogar von einem regelmäßigen Einkommen, was auch stimmte. Aber jedenfalls hatte niemand angedeutet, daß Tom selbst der Verfasser des Testaments war – was ebenfalls zutraf. Die Franzosen hatten ein gutes Gedächtnis für pekuniäre Details.
Nach dem Kaffee schlenderte er nach Hause, mit freundlichem Bonsoir zu den Dorfleuten, die er unterwegs traf. Ein paarmal brachte ihn das nasse Laub am Wegrand ins Rutschen. Einen richtigen Fußweg gab es nicht. Er trug eine Taschenlampe bei sich, denn die Straßenlaternen standen weit voneinander entfernt. Manchmal sah er in einer hellen Küche die Familie gemütlich am wachstuchgedeckten Tisch vor dem Fernsehschirm sitzen. In einigen Höfen bellte der Kettenhund. Dann hatte er sein Haus erreicht und öffnete das drei Meter hohe Gittertor. Seine Schuhe knirschten auf dem Kies. Mme. Annette hatte Licht in ihrem Zimmer an der anderen Hausseite, das sah Tom. Sie besaß ein eigenes Fernsehgerät. Tom malte oft abends,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher