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Studio 6

Studio 6

Titel: Studio 6
Autoren: Liza Marklund
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PROLOG
    Zuerst sah sie nur die Unterhose, die in einem Strauch hing. Sie schwang sanft hin und her, leuchtete lachsrosa vor dem taubeschwerten Grün. Augenblicklich empfand sie Wut. Dass die jungen Leute aber auch vor nichts Respekt hatten. Nicht einmal die Toten durften ihre Ruhe haben.
    Sie versank in Grübeln über den Verfall der Gesellschaft, während der Hund weiter am Metallzaun entlangzog. Als sie dem Tier an der Südseite des Friedhofs um die kleinen Bäume herum gefolgt war, sah sie das Bein. Ihr Unmut wuchs, diese unverschämten Leute!
    Abends konnte sie die Frauen sehen, wenn sie über den Gehsteig promenierten, leichte Kleidung und laute Stimmen, und die Kerle einluden. Es war keine Entschuldigung, dass es warm war.
    Der Hund setzte am Zaun eine lange Wurst ins Gras. Sie schaute weg und tat, als hätte sie nichts gesehen. Um diese Zeit war kein Mensch unterwegs. Warum sich dann mit der Tüte rumquälen? »Komm, Jesper«, lockte sie und zog den Hund zum Auslauf auf der östlichen Seite des Parks.
    »Komm schon, Alter, Silberherzchen …« Sie warf einen Blick über die Schulter, als sie sich vom Zaun entfernte.
    Das Bein war nicht mehr zu sehen, wurde von dem dichten Blattwerk des Parks verdeckt.
    Es würde heute wieder ein heißer Tag werden, das konnte sie bereits spüren. Schweiß lief ihr über die Stirn, obwohl die Sonne gerade erst aufgegangen war. Sie atmete schwer, als es bergauf ging. Der Hund zerrte an der Leine. Seine Zunge hing bereits so weit heraus, dass sie übers Gras schleifte.
    Wie konnte man nur auf einem Friedhof schlafen, auf der Ruhestätte der Toten? War das der Sinn des Feminismus, sich schlecht und respektlos zu benehmen?
    Sie war immer noch erbost, und der steile Hügel machte ihre Laune nur noch schlechter.
    Ich sollte den Hund abschaffen, dachte sie und bekam sofort ein schlechtes Gewissen. Um ihre bösen Gedanken zu überspielen, bückte sie sich, um die Leine loszuhaken und das Tier auf den Schoß zu nehmen, aber der Hund befreite sich und rannte einem Eichhörnchen hinterher.
    Ihre Fürsorge wurde offenbar nicht geschätzt. Mit einem kleinen Seufzer ließ sie sich auf eine Bank sinken, während Jesper versuchte, das Eichhörnchen zu Tode zu hetzen. Nach einer Weile war der Hund völlig erledigt und ließ sich bellend unter einer Kiefer nieder, auf der sich der kleine Nager versteckt hatte. Sie blieb sitzen, bis sie sah, dass der Hund sich ausgeruht hatte, dann stand sie auf und merkte, dass der Stoff des Kleides ihr am Rücken klebte.
    Der Gedanke an die dunklen Flecken entlang des Rückgrats war ihr peinlich.
    »Jesper, mein Junge, Silberherzchen, kleines Hundchen …«
    Sie schwenkte eine Plastiktüte voller Hundekuchen, und der kurzbeinige Bullterrier lief auf sie zu. Die Zunge hing heraus und schlackerte hin und her, es sah aus, als würde er lachen.
    »Ja, das möchtest du gern haben, das verstehe ich gut, mein Lieber …«
    Sie gab dem Hund den ganzen Inhalt der Tüte und hakte dabei schnell die Leine wieder ein. Es war Zeit zurückzugehen. Jesper hatte seinen Teil bekommen. Jetzt war sie an der Reihe, Kaffee und Hefekuchen. Der Hund wollte aber ganz und gar nicht zurückgehen. Er hatte das Eichhörnchen wieder entdeckt, und durch die Hundekuchen gestärkt, war er bereit für eine neue Jagd. Er protestierte laut und wild.
    »Ich will nicht länger draußen bleiben«, schimpfte sie.
    »Komm jetzt!«
    Sie nahmen einen Umweg, um nicht die steilen Hügel hinuntergehen zu müssen, die nach Hause führten.
    Bergauf ging noch, aber bergab tat ihr immer das Knie weh.
    Sie hatte gerade die nordöstliche Ecke hinter sich gelassen, als sie den Körper sah. Er ruhte, in das wuchernde Grün des Grabes gebettet, lustvoll hinter einem halb umgefallenen Granitstein ausgestreckt. Das Fragment eines Davidsterns lag direkt neben seinem Kopf. Jetzt erst bekam sie Angst. Der Körper war nackt, allzu still und weiß. Der Hund riss sich los und raste auf den Zaun zu, die Leine tanzte wie eine wütende Schlange hinter ihm her.
    »Jesper!«
    Er schaffte es, sich zwischen zwei Stangen hindurchzuzwängen, und rannte auf die tote Frau zu.
    »Jesper, komm her!«
    Sie rief, so laut sie sich traute, sie wollte ja die Leute in den umstehenden Häusern nicht wecken. Viele schliefen in der Hitze bei offenem Fenster, die Häuser in der Innenstadt kühlten über Nacht kaum ab. Sie wühlte wie wild in der Plastiktüte, aber die Hundekuchen waren alle.
    Der Bullterrier blieb vor der Frau stehen und
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