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Rimbaud und die Dinge des Herzens: Roman (German Edition)

Rimbaud und die Dinge des Herzens: Roman (German Edition)

Titel: Rimbaud und die Dinge des Herzens: Roman (German Edition)
Autoren: Samuel Benchetrit
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Joséphine, sie soll auf sich aufpassen!«
    »Mach ich.«
    »Bist du sicher, dass noch Bahnen fahren?«
    »Ganz sicher.«
    »Ich kann dich auch nach Hause begleiten, weißt du.«
    »Nein, machen Sie sich keine Umstände, wir sind ja schließlich nicht im Krieg!«

Neunzehntes Kapitel

22 Uhr 50
     
     
    Als ich vor unserem Wohnturm ankam, bin ich gleich zu den Kellerräumen runtergegangen. Karim wartete in seinem Kellerabteil auf mich. Das überraschte mich, weil es spät war und ich glaubte, wir hätten uns verpasst.
    »Du bist ja noch da!«
    »Ja, ich wollte gerade gehen … Wo hast du denn gesteckt?«
    »Ich war bei den Leuten, bei denen meine Mutter arbeitet.«
    »Warum denn das?«
    »Ich habe ihnen ein bisschen geholfen, und danach haben wir einen Film angeschaut.«
    »Was für einen?«
    »Irgendeinen alten Schinken, vergiss es.«
    Ich ließ mich zu Karim auf die Matratze sinken.
    »Und du?«
    »Nichts … Nach dem Training war ich noch mit Brice und Yéyé unterwegs, und dann bin ich hierher gekommen.«
    »Wissen deine Eltern, dass du hier bist?«
    »Spinnst du?!«
    »Haben sie dich einfach gehen lassen?«
    »Ich habe gesagt, dass ich hundemüde bin und ins Bett muss. Und nach zwanzig Minuten hab ich mich dann rausgeschlichen.«
    »Schläft Riton heute Nacht nicht in deinem Keller?«
    »Anscheinend nicht, seine Mutter ist wohl nüchtern.«
    Riton hatte wieder neue Sachen angeschleppt. Ein Poster. Ein Tischchen mit einem Tuch darüber. Einen Aschenbecher. Einen Wasserkocher. Ich hatte das Gefühl, dass er klammheimlich von der Wohnung oben vollständig nach hier unten umzog.
    Riton fühlte sich bestimmt schrecklich allein. Ich musste daran denken, dass ich es meiner Mutter zu verdanken hatte, dass ich mich nicht allein fühlte. Dabei bin ich gar nicht ununterbrochen mit ihr zusammen. Oft komme ich aus der Schule, verschwinde gleich in mein Zimmer und sehe sie erst zum Abendessen wieder.
    Aber ihre Anwesenheit, das Wissen, dass sie nie weit weg ist, trägt mich. Es ist einfach, allein zu sein, wenn man geliebt wird.
    »Was machst du denn da mit der Blume?«
    Ich hielt die Rose von Madame Roland in der Hand. Erst das Buch, das ich bei
Carrefour
gestohlen hatte, und nun die Rose – Karim musste mich für einen Gartenfreak halten.
    »Die ist für meine Mutter.«
    »Du solltest sie ins Wasser stecken, sonst krepiert sie.«
    Karim stand auf und ging auf den Gang hinaus. Ich hörte, wie er sich an dem Wasserhahn zu schaffen machte, den alle Mieter im Keller benutzen.
    Er kehrte mit einer halbgefüllten Bierflasche zurück.
    »Steck sie hier rein.«
    Ich steckte die Rose in die Bierflasche.
    Karim setzte sich neben mich.
    »Karim, glaubst du, wir werden immer Freunde bleiben?«
    »Hm … Warum fragst du? Klar!«
    »Aber glaubst du, wir sind Freunde, weil wir uns ständig sehen, im selben Wohnturm wohnen und so … oder weil wir es wirklich wollen?«
    Karim ist sowieso schon ein ungeheuer ruhiger Typ, und wenn er über etwas nachdenkt, dann noch mehr. Ich mag an ihm, dass er oft über eine Stunde für eine Antwort braucht, was bedeutet, dass er die Frage, die man im gestellt hat, wirklich ernst nimmt.
    »Ich glaube, wir sind Freunde geworden, weil wir im selben Turm wohnen, aber jetzt brauchen wir das nicht mehr, um Freunde zu bleiben.«
    »Stimmt … Du hast recht, Karim.«
    »Ziehst du weg?«
    »Keine Ahnung … Ja, vielleicht.«
    »Kommst du uns trotzdem besuchen?«
    »Weiß nicht.«
    »Dann kommen eben wir.«
    »Hoffentlich.«
    Karim stand auf und drückte auf den Knopf des Wasserkochers.
    »Ich muss jetzt rauf.«
    »Bist du müde?«
    »Geht so, aber wenn Leila in mein Bett kommt und ich nicht da bin, wird sie meine Eltern wecken.«
    Leila ist Karims kleine Schwester. Sie ist fünf Jahre jünger als er und vergöttert ihren großen Bruder.
    Ständig malt sie ihm irgendwelche Bilder oder schreibt Gedichte für ihn. Und wenn sie einen Alptraum hat, flüchtet sie zu ihm ins Bett.
    »Brauchst du noch was, Charly?«
    »Nein, danke.«
    »Meinst du, du kannst hier schlafen?«
    »Bestimmt, ich bin total k.o.«
    Karim ging zur Tür, dann drehte er sich noch einmal zu mir um.
    »Weißt du, wenn du wegziehst und wir uns in zwanzig Jahren wiederbegegnen, dann wissen wir, was für Freunde wir waren.«
    Er verschwand.
    Ich musste mich unbedingt beschäftigen, damit ich nicht spürte, dass Karim weg war und ich noch immer so dasaß, auf der Matratze mit dem Licht und so, wie vor zwei Sekunden, als Karim noch da gewesen war.
    Ich
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