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Rimbaud und die Dinge des Herzens: Roman (German Edition)

Rimbaud und die Dinge des Herzens: Roman (German Edition)

Titel: Rimbaud und die Dinge des Herzens: Roman (German Edition)
Autoren: Samuel Benchetrit
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und ein paar Minuten warten, bis alles gar war. Danach konnte man Käse dazugeben, Tomaten und einen Haufen anderer Sachen, stand auf der Packung.
    Es gibt nichts Blöderes, als darauf zu warten, dass das Wasser kocht.
    Ich hatte es nicht fertiggebracht, den Rolands zu sagen, was meiner Mutter wirklich zugestoßen war. Mit meinen Kumpels war es mir genauso gegangen. Und mit Mélanie. Ich verstand, was Henry mir eben oben auf dem Berg hatte sagen wollen. Das mit der Angst und der Scham. Genau die empfand ich nämlich. Wie ein Holzsplitter in der Haut, der mir keine größeren Beschwerden bereitete, den ich aber ständig spürte. Im Bauch saß die Angst und im Herzen die Scham. Und bei jedem Herzschlagwurde ein bisschen von dieser Scham in meinen übrigen Körper geschwemmt.
    Mélanie hatte den Schmerz ein wenig betäubt, sie war sozusagen mein Gegenmittel. Mir fiel ein, dass ich mir ein Wort ausdenken musste, um auszudrücken, wenn einem jemand die Aufregung nimmt.
    Das andere war, dass meine Mutter der Frau auf dem Amt von niemandem erzählt hatte. Sie ist stolz, sagt Henry immer. Und auf dem Sofa der Rolands war mir nicht danach gewesen, sie zu verraten. Oder ich hatte nicht den Mut dazu gehabt. Vielleicht würde man sie ja morgen aus dem Abschiebegefängnis entlassen, oder in ein paar Tagen.
    Gerade so lange, wie es brauchte, um diese schlimme Grippe auszukurieren.
    Ich schüttete die Nudeln und den Reis ins sprudelnde Wasser, was ich sofort bereute, als ich merkte, dass beides nicht dieselbe Kochzeit hatte. Ich überlegte, was ich tun sollte. Es bot sich nicht gerade an, den Reis als Erstes herauszunehmen. Ich hatte wenig Lust, konnte ja schlecht jedes Reiskorn einzeln herausklauben. Ich wählte die goldene Mitte und entschied mich für eine Zeit dazwischen. Da ich weder eine Armbanduhr noch sonst was dabeihatte, zählte ich im Kopf. Das mache ich oft: Ich schaue auf eine Wanduhr und übernehme den Takt des Sekundenzeigers. Dann schließe ich die Augen, zähle eine Minute lang, mache die Augen nach neunundfünfzig Sekunden wieder auf und schaue, ob ich da bin, wo derSekundenzeiger ist. Meistens liege ich nur zwei, drei Sekunden daneben. Wenn ich es genau treffe, finde ich mich großartig.
    Ich ging ins Wohnzimmer, wo Madame Roland noch immer vor dem Fernseher saß und die Nachrichten schaute.
    »Verzeihung, Madame Roland, wo soll ich den Tisch decken?«
    »Hier, Charly, Besteck findest du in der Anrichte.«
    »Danke schön.«
    Ich zählte im Stillen weiter.
    »Soll ich dir zur Hand gehen?«
    »Bleiben Sie nur sitzen, ich mach das schon.«
    Ich nahm drei Teller, das Besteck, Servietten und drei Gläser.
    »In zwei Minuten können wir essen.«
    »Sehr gut, Charly, ich rufe Georges, dann können wir uns zu Tisch setzen.«
    Ich ging wieder in die Küche, um nach den Nudeln zu sehen. Ich zählte weiter, aber es war gar nicht so einfach, sich zu konzentrieren, weil ich gerade erfahren hatte, dass Monsieur Roland Georges hieß und ich Lust hatte, darüber nachzudenken.
    Ich holte ein Päckchen geriebenen Käse und zwei Tomaten aus dem Kühlschrank. Die Tomaten schnitt ich in Viertel. Als ich aufhörte zu zählen, hatte ich das Gefühl, mich um eine Minute geirrt zu haben. Es hätten sieben sein sollen, aber ich wusste nicht mehr, ob ich bis sechs gekommen war. Oder bis acht. Ich entschied mich wiederfür den goldenen Mittelweg und ließ alles noch dreißig Sekunden kochen.
    Monsieur Roland kam in die Küche und suchte nach einem Korkenzieher für seinen Superwein.
    »Na, was gibt es denn zu essen, Charly?«
    »Sie werden sehen, eine Köstlichkeit – eine meiner Spezialitäten!«
    Ich muss immer noch einen drauflegen.
    Ich suchte nach dem Dingsbums, um die Nudeln abtropfen zu lassen.
    »Monsieur Roland, wo bewahren Sie denn den Durchstoß auf?«
    »Den Durchstoß? Du meinst wohl den Durchschlag!«
    »Ja, genau!«
    »In dem Schrank da.«
    Ich nahm das Sieb, stellte es in die Spüle und kippte die Nudeln und den Reis hinein. Was mir nicht so gefiel, war, dass alles zusammenpappte. Es ähnelte mehr einer dicken Pampe als dem, was ich beim Kochen eigentlich im Sinn gehabt hatte. Ich nahm eine Platte aus dem Schrank, die ich ganz schön fand, und breitete die Pampe darauf aus, damit nicht alles als fetter Klumpen in der Mitte lag. Nur, als ich den geriebenen Käse darüberstreute, wurde es richtig übel. Es bildete sich wieder ein Klumpen, und der sah scheußlich aus. Ich rammte die Tomatenviertel hinein und ging ins
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