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Rimbaud und die Dinge des Herzens: Roman (German Edition)

Rimbaud und die Dinge des Herzens: Roman (German Edition)

Titel: Rimbaud und die Dinge des Herzens: Roman (German Edition)
Autoren: Samuel Benchetrit
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    »Na, Madame, ist Ihr Mann immer noch nicht zurück?«
    Und der Mann der Alten ist bestimmt schon tot und überhaupt. Zum Glück für mich ist Yéyé nicht mein einziger Kumpel, wir sind eine ganze eingeschworene Truppe.
    Ich erinnere mich nicht mehr, wann ich meine Kumpels kennengelernt habe. Wahrscheinlich, weil wir uns schon immer gekannt haben. Sie fragen sich ja auch nicht, wann Sie Ihre Mutter kennengelernt haben. Und mit meinen Kumpels ist es genauso, wir haben uns am Tag unserer Geburt kennengelernt. Vor zehn Jahren. Auch Yéyé. Obwohl er zwei Jahre älter ist als wir. Das ist aber sein Problem. Da musste er diese zwei Jahre eben warten, und es ist nicht mal aufgefallen. Er hat sich aber auch mächtig ins Zeug gelegt und ist zwei Mal sitzengeblieben, damit er seinen Rückstand aufholt und zu uns in die Klasse kommt.
    Fest steht, meine Freunde und ich, wir sind eine richtig coole Bande. Das weiß jeder hier im Viertel. Undselbst diejenigen, die uns nicht ausstehen können, finden, dass wir ziemlich beeindruckend sind.
    Natürlich gibt es Unterschiede.
    Wenn Madame Hank, unsere Englischlehrerin, sagt: »Ihr seid mir vielleicht eine schöne Bande!«, dann heißt das übersetzt, dass sie uns für einen Haufen Vollidioten hält. Wenn dagegen Monsieur Lorofi, unser Fußballtrainer, brüllt: »Ihr seid ’ne super Bande, Jungs!«, dann ist klar, dass wir die Größten sind, dass wir das Spiel gewonnen haben und dass wir ein phantastisches Team aus Stürmern und Mittelfeldspielern beisammenhaben.
    Dazu muss man wissen, dass Freizeit für uns bedeutet, Fußball zu spielen. Würde in der Schule das zählen, was wir auf dem Platz lernen, hätten wir schon längst den Nobelpreis bekommen. Das denke zumindest ich, obwohl mein Bruder Henry behauptet, dass man in den Schulen unserer Gegend der Beste sein kann und trotzdem der Schlechteste von ganz Paris oder sonst wo ist. Vielleicht hat er recht, aber ich mag es nicht, wenn man solche Sachen sagt.
    Für mich ist es hier besser als überall sonst auf der Welt.
     
    Ich habe gar nicht vor, Ihnen mein ganzes Leben zu erzählen, aber eines sollten Sie sich wirklich merken: Ich heiße Charly. Na gut, okay, eigentlich heiße ich Charles, aber ich hasse es, wenn man mich so nennt. Und wer es versucht, kann sich darauf gefasst machen, richtig eins auf die Nase zu kriegen. Ist doch ganz einfach: Char-ly. Inder Schule gibt es einige Lehrer, die mich hartnäckig so nennen, wie ich eigentlich heiße. Ihnen kann ich schlecht eins auf die Nase geben, aber glauben Sie mir, es juckt mich in den Fingern.
    Na ja, wie auch immer, ich höre inzwischen gar nicht mehr hin, wenn mich jemand »Charles« nennt, ich habe ganz vergessen, dass ich gemeint sein könnte.
    Mit Nachnamen heiße ich Traoré, das kommt aus Mali, logisch, meine Eltern kommen ja auch daher. Angeblich ist mein Vater wieder dorthin zurückgekehrt, aber man weiß nichts Genaues darüber. Überhaupt kann ich nicht gerade einen Aufsatz schreiben mit dem, was ich über ihn weiß. Er ist einen Monat nach meiner Geburt abgehauen und hat meine Mutter und meinen Bruder so allein im Regen stehen lassen wie die Flügelspieler von Paris Saint-Germain ihre beiden Stürmer. Mich persönlich hat das nicht berührt. Ich war gerade einen Monat alt und dachte bestimmt viel eher an die Milch in den Brüsten meiner Mutter als daran, womit mein Vater wohl seine Zeit verplemperte. Aber für meinen Bruder war das anders. Und meine Mutter ist sich sicher, dass das der Grund ist, weshalb Henry zum Junkie geworden ist und dauernd Scheiße baut. Ich glaube allerdings, dass mein Bruder ein richtiger Idiot ist und dass er Drogen nimmt, um zu vergessen, wie bescheuert er ist. Na ja, da hat wohl jeder seine eigene Theorie. Glauben Sie nicht, ich wäre herzlos, wenn ich so von meinem Bruder rede. Aber ich schwör’s Ihnen, Sie wären an meiner Stelle bestimmt schon in einerAnstalt gelandet. Ich glaube, mein Bruder ist bloß zur Welt gekommen, um mir auf den Sack zu gehen. Entschuldigen Sie, dass ich es so drastisch formuliere, aber anders lässt es sich nicht ausdrücken. Würde ich jedes Mal, wenn er mir auf die Nerven geht, einen Euro bekommen, dann wäre ich bereits Milliardär. Ich kriege aber nichts und werde umsonst verrückt.
     
    Was ich Ihnen eigentlich erzählen wollte, ist eine Sache, die sich heute Morgen zugetragen hat. Mann, war das eine Geschichte. Darüber könnte man wahrscheinlich ein richtiges Buch schreiben. So ganz hab ich es
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