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Rimbaud und die Dinge des Herzens: Roman (German Edition)

Rimbaud und die Dinge des Herzens: Roman (German Edition)

Titel: Rimbaud und die Dinge des Herzens: Roman (German Edition)
Autoren: Samuel Benchetrit
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Geschenk für mich mit, Schokolade und so. Meine Mutter sieht in ihnen ein bisschen so etwas wie ihre französischen Eltern. Sie kümmert sich um ihr Haus, um den Haushalt, macht ihnen zu essen. Sie sind wirklich sehr alt, und Madame Roland kann kaum mehr laufen. Wenn meine Mutter einen Spaziergang mit ihr unternimmt, dauert das den ganzen Tag. Sie wohnen drei Bahnstationen von uns entfernt, in einem schönen Haus mit Garten. Madame Roland liebt Blumen und überhaupt alles, was gut riecht, deshalb schenkt sie meiner Mutter auch die ganzen Parfums. Sie sagt, sie selbst könne ja keines mehr auftragen, dazu sei sie zu alt, das sei ja schauderhaft, an einer hundertjährigen Rose zu riechen. Und so kommt meine Mutter auch oft mit Blumen nach Hause. Sie sollten sehen, mit welcher Liebe sie sich darum kümmert. Bei uns halten Blumen monatelang, ich schwör’s Ihnen.
    Meine Mutter arbeitet von neun Uhr morgens bis siebzehn Uhr dreißig bei den Rolands, sie bereitet ihnen noch das Abendessen zu, dann geht sie. Am Wochenende arbeitetsie nicht, aber die Rolands sind deswegen nicht allein. Sie haben eine Tochter, die sie besuchen kommt, Nathalie. Die ist Anwältin und erzählt ihren Eltern und meiner Mutter oft, wie sie einen Prozess gewonnen hat und so. Meine Mutter sagt, dass sie sehr begabt ist. Ich habe sie nie gesehen, nur einmal, auf einem Foto.
    Ich dachte an die Rolands mit einem unguten Gefühl. Sie mussten sich allmählich Sorgen machen, weil meine Mutter nicht kam. Ich sollte ihnen Bescheid geben. Dann aber sagte ich mir, dass meine Mutter bestimmt schon wieder freigelassen worden und zu ihnen unterwegs war. So richtig konnte ich es mir allerdings nicht vorstellen.
    Außerdem hatte sie mir ja diesen Blick zugeworfen. Meine Mutter hatte mich hinter der Glastür zum Treppenhaus genau gesehen. Und trotzdem hatte sie so getan, als hätte sie mich nicht gesehen. Allein bei dem Gedanken bekam ich schon wieder eine Gänsehaut. Das hieß, dass es wirklich ernst war. Und dass sie partout nicht wollte, dass man mich bemerkte. Sonst hätte sie mir zugelächelt. Meine Mutter lächelt mir immer zu, selbst wenn etwas Schlimmes passiert ist, selbst wenn die Erde gleich in die Luft fliegt, sie lächelt mir immer zu.
    Ich beschloss, ein wenig zu warten, falls sie doch zurückkommen sollte, oder jemand anders, der mir erklären konnte, was los war.
    Ich legte mich auf ihr Bett. Ohne die Decke oder sonst etwas zurückzuschlagen. Ich habe mich einfach obendrauf gelegt.
    Das Bett meiner Mutter ist immer gemacht. Sobald sie aufsteht, macht sie ihr Bett. Unglaublich. Aber es kommt noch besser: Dann geht sie sofort duschen. Ohne einen Bissen gegessen zu haben. Sie wacht auf, macht ihr Bett und geht duschen. Für diese Reihenfolge muss man schon ganz schön masochistisch veranlagt sein. Ich jedenfalls kann kaum aus den Augen gucken, bevor ich nicht mein Müsli verdrückt habe. Meine Mutter dagegen sagt, sie könne nichts essen, bevor sie nicht geduscht habe. Für sie ist das offenbar ein Vergnügen.
    Normalerweise schlafe ich auf dem Bauch. Erst lege ich mich auf den Rücken, dann auf die Seite, und schließlich schlafe ich auf dem Bauch ein. Da könntest du dich ja gleich auf den Bauch legen, werden Sie sagen. Aber das ist nun mal mein kleines Ritual. Nur an Abenden, an denen ich wirklich todmüde bin, lege ich mich gleich auf den Bauch.
    Das Bett atmete noch den Duft meiner Mutter. Diesen Duft würde ich überall und unter Tausenden erkennen. Ich mag ihn sehr. Er beruhigt mich. Außerdem weckt er Erinnerungen. Er lässt mich an unsere Samstagabende denken, warum, weiß ich nicht. Samstags gehen wir oft ins Kino im Centre Guillaume Apollinaire. Das ist der Stadtteilladen in unserer Einkaufspassage. Sie organisieren dort Partys, Konzerte, zeigen Theaterstücke oder Filme. Ich gehe meistens zusammen mit meiner Mutter hin, wir schauen uns die Vorstellung an, und danach gehen wir mit den anderen Bewohnern aus unserem Viertel etwasessen und trinken. Ich treffe immer eine Menge Freunde, und wir haben einen Riesenspaß, während meine Mutter bei den Erwachsenen sitzt und sich weiß der Fuchs worüber unterhält.
    All diese Momente kamen mir in den Sinn, als der Duft meiner Mutter mich umfing. Ich drückte mein Gesicht fest in das Kopfkissen und musste plötzlich weinen. Der Duft meiner Mutter machte mich ganz traurig, ich konnte nicht verhindern, dass mir Tränen über die Wangen liefen.
    Unter uns: Ich weine oft. Aber nie lange. Nur für einen
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