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Rimbaud und die Dinge des Herzens: Roman (German Edition)

Rimbaud und die Dinge des Herzens: Roman (German Edition)

Titel: Rimbaud und die Dinge des Herzens: Roman (German Edition)
Autoren: Samuel Benchetrit
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ist dort zwar ebenso gruselig wie im Keller, aber heller, durch die Lüftungsgitter dringt Tageslicht. Und außerdem ist da mehr Platz, was für mich gut ist, weil ich doch Klaustrophobie habe.
    Ich ging an der Autosammlung von Super-Mario vorbei. Er heißt so wegen des Videospiels. Wir nennen ihn auch Höcker-Mario, weil er eine Beule auf der Stirn hat. Er ist einer von den ganz Alten in der Cité, er ist fünfundzwanzig oder dreißig, und einer von den ganz Durchgeknallten, echt vom Feinsten. Was der immer für einen Schwachsinn verzapft! Wenn er zum Beispiel mal wieder in den Knast wandert, wegen all der Autos, die er klaut, und so. Und drei Monate später rauskommt, dann erzählt er einem, er wäre gerade mit einer Amerikanerin in Tahiti gewesen. Wo doch jeder genau weiß, dass er in Fresnes eingesessen und seine Zelle mit drei Typen wie ihm geteilt hat. Aber er behauptet, wir wären nur neidisch, und nervt uns mit seinen Kokospalmen und seiner Braut. Die Show, die er immer abzieht, finde ich echt armselig. Das ist wie mit seinem Höcker, er behauptet steif und fest, den hätte er sich während einer Prügelei von einem Baseballschlägereingefangen, wo seine Mutter uns doch erzählt hat, er wäre ihr vom Wickeltisch gefallen, als er noch ein Baby war.
    Was allerdings stimmt, ist, dass seine Autokollektion im Parkhaus echt Wahnsinn ist. Es sind zwar keine Liebhaberstücke dabei, aber dafür hat er mindestens zwanzig Karren da herumstehen. Und für jede einzelne ist Mario in den Knast gegangen. Nett daran ist, dass er uns dort gern einsteigen lässt.
    Man geht zu ihm hin und sagt:
    »Darf ich mal in eine Karre von dir, um mit meiner Cousine zu fummeln?«
    »Klar, nimm den Peugeot 307 dort drüben.«
    Oder:
    »He, Mario, meine Eltern haben mich rausgeschmissen, ich weiß nicht, wo ich schlafen soll.«
    »Na, dann leg dich eben in den Twingo.«
    Manchmal sind alle Autos belegt. Jungs mit ihren Mädels. Andere, die sich die Kante geben. Wieder andere, die schlafen. Und wir, die wir uns einfach nur ins Auto setzen, um zu quatschen. Wer am Steuer sitzt, tut so, als würde er fahren. Fünf Minuten darf jeder, dann wechseln wir. O Mann, ich freu mich so auf den Führerschein!
    Ich überquerte den Parkplatz bis zur Leiter, die auf das Dach des Einkaufszentrums führt. Die ist mindestens hundert Meter hoch, und wer da nicht ganz schwindelfrei ist, hat schlechte Karten.
    Als die Cité gebaut wurde, legten sie sich vor allembeim Einkaufszentrum mächtig ins Zeug. Es liegt genau in der Mitte zwischen den Türmen, und von jedem Fenster aus kann man zumindest einen Zipfel davon und das Dach sehen. Früher waren da ein Haufen Geschäfte untergebracht: eine Bäckerei, eine Metzgerei, ein Blumenhändler, ein Laden mit jeder Menge Haushaltsartikeln, eine Apotheke, eine Reinigung, ein Kiosk, ein Café, eine Buchhandlung, ein Schuster, ein Schmuckgeschäft, ein Friseur. Und drei Lebensmittelgeschäfte. Dann haben sie in gerade mal fünfhundert Metern Entfernung ein Gewerbegebiet danebengesetzt. Einen
Carrefour
-Supermarkt. Eine Einkaufspassage. Lauter Selbstbedienungsrestaurants. Riesige Hallen mit Möbeln, Schuhen, Bekleidung, Elektrogeräten. Ein moderner Parkplatz. Neonröhren in allen Farben. Und Angestellte in Uniform. In unserem Einkaufszentrum gibt es heute noch genau drei Geschäfte. Einen Waschsalon. Einen DVD-Automaten. Und einen Lebensmittelladen.
    Der Rest erinnert an einen Friedhof mit Rollgittern.
     
    Ich rannte über das Dach. Jeder konnte mich sehen, und ich wollte so schnell wie möglich auf der anderen Seite wieder runterklettern. Ich sprang über Bierflaschen, Konservendosen, Windeln, eine Waschmaschine, Müllsäcke, eine tote Katze. Erstaunlich, was die Leute so alles aus dem Fenster werfen. Auch Spritzen waren darunter, verrostete Löffel, die Chassis von ausgebrannten Motorrollern.
    Als ich die andere Seite fast erreicht hatte, sah ich einen alten Mann, der auf seinem Balkon in der ersten Etage direkt über dem Dach stand. Er hatte nur eine Unterhose an, rauchte in aller Ruhe eine Zigarette und genoss die Aussicht.
    »Was treibst du denn da?«
    »Nichts, Monsieur, ich bin eigentlich schon wieder weg.«
    »Du weißt, dass man nicht auf das Dach klettern darf?«
    »Jaja, weiß ich.«
    »Also, was treibst du dich dann dort herum?«
    »Ich bin ja schon dabei, wieder runterzusteigen.«
    Gewisse Gespräche können einem wirklich ganz schön auf die Nerven gehen. Der Alte hatte einfach nichts anderes zu tun, als Jungs
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