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Rimbaud und die Dinge des Herzens: Roman (German Edition)

Rimbaud und die Dinge des Herzens: Roman (German Edition)

Titel: Rimbaud und die Dinge des Herzens: Roman (German Edition)
Autoren: Samuel Benchetrit
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vor dem Fernseher, und ich bemerke, dass meine Mutter zu mir herüberschaut. Selbst wenn das Programm spannend ist, schaut sie zu mir herüber. Ich war ein wenig verlegen, als sie mich an der Tür zum Treppenhaus stehen sah. Nicht deshalb, weil ich eigentlich unterwegs zur Schule hätte sein sollen,sondern weil ich mich fast wie ein Dieb versteckte. Außerdem weiß ich, dass meine Mutter mir die Angst vom Gesicht ablesen kann. Ich kann mich verstellen, wie ich will, und tausend Mal erzählen, wie großartig das Leben ist – wenn mich etwas ängstigt, sieht sie es sofort.
    Da ich so verlegen war, als sie mich entdeckte, habe ich ein Lächeln aufgesetzt. Ein breites Grinsen. Ich muss wohl ziemlich blöd ausgesehen haben. Mit der Angst eines kleinen Jungen, der nicht begreift, was los ist, und darüber das Lächeln von einem Klassenprimus. Manchmal verrenkt man sich schon zu komischen Grimassen. Vor allem, wenn man nur Bahnhof versteht. Außerdem liegt mir Lächeln ohnehin nicht so. Es gibt ja Leute, die lächeln die ganze Zeit. Mann, gehen mir solche Typen auf die Nerven! Wie dieser Anthony Meltrani, der ständig wie ein Grenzdebiler grinst. Wenn Sie dem auf der Straße begegnen, grinst er garantiert vor sich hin. Wenn’s regnet, grinst er, dieser Idiot. Fahrkartenkontrolle – er grinst. Ich bin mir sicher, selbst nachts, wenn er schläft, hat er diese Banane quer über dem Mund.
    Meine Mutter stutzte kurz und betrachtete meine verbogene Silhouette. Und dann tat sie etwas Unglaubliches. Wäre es nicht meine Mutter gewesen, ich hätte sie für ein Monster gehalten. Sie lächelte nicht zurück, wie sie es sonst immer tut, egal, wie und wo sie mich sieht!
    Sie wandte einfach den Kopf ab. Einfach so. Kein Zwinkern, kein Irgendwas. Sie wandte einfach nur den Kopf ab. Als würde ich gar nicht existieren. Dann kamauch schon der Aufzug, sie sind eingestiegen, ich hörte, wie die Türen sich schlossen, und erkannte an dem Geräusch, dass sie nach unten fuhren.
    Was war denn das jetzt bloß für eine Geschichte?
    Mein Herz klopfte weiterhin im Rhythmus von wildem Gewehrfeuer. Immer in dem Augenblick, in dem man am wenigsten damit rechnet, passieren die verrücktesten Dinge. Du machst dich gerade ganz ruhig auf den Weg zur Schule, und plötzlich schneien eine Horde Bullen und eine Tante herein, die deiner Schuldirektorin gleicht wie ein Ei dem anderen, kassieren deine Mutter ein, und du weißt nicht einmal, wohin sie sie bringen. Manchmal wünsche ich mir, ich hätte einen Radiergummi oben auf dem Kopf, um einen Tag noch mal von vorn beginnen zu können.
    Ich beschloss, zurück in unsere Wohnung zu gehen. Seit Beginn des Jahres besaß ich meinen eigenen Schlüsselbund, und meine Mutter ging mir dauernd auf den Wecker mit ihren Geschichten von wegen Vertrauen und so. Aber im Grunde blieb ihr keine andere Wahl: Seit ich auf die höhere Schule gehe, komme ich nachmittags oft vor ihr nach Hause.
    Meine Hand zitterte wie die von einem alten Mann, ich bekam den Schlüssel nicht ins Schloss. Als ich es endlich hinkriegte, bemerkte ich, dass die Tür gar nicht verriegelt war. Vielleicht hatte meine Mutter das absichtlich getan, für den Fall, dass Henry oder ich unseren Schlüssel vergessen hätten. Oder vielleicht nur, weil sie es selbstvergessen hatte. Ich öffnete die Tür, und das Komische daran war, dass ich den Eindruck hatte, unsere eigene Wohnung wie ein Einbrecher zu betreten. Bestimmt, weil ich gerade die Bullen gesehen hatte, und außerdem, weil ich ja eigentlich in der Schule hätte sein müssen.
    Ich lief quer durchs Wohnzimmer, um aus dem Fenster zu schauen, von dem aus man den Eingang unseres Gebäudes sehen kann. Ich machte das Fenster nicht richtig auf, nur eine Handbreit, und drückte meinen Kopf in den Spalt. Gerade kam meine Mutter mit den Polizisten und der Frau aus unserem Wohnturm. Draußen war sonst niemand, das ist oft so um die Uhrzeit, die einen sind arbeiten, und die anderen schlafen. Gut, dass da keiner war, denn meine Mutter hätte es bestimmt nicht gern gehabt, wenn jemand sie zusammen mit diesen Leuten gesehen hätte. Sie gingen bis zum Bürgersteig, wo ein Kleintransporter der Polizei geparkt stand. Einer der Polizisten öffnete die Schiebetür und ließ meine Mutter einsteigen. Die Frau ist auch hinten eingestiegen, hat sich neben meine Mutter gesetzt, die beiden Polizisten vorne.
    Als der Wagen losfuhr, versuchte ich, meine Mutter durch die Scheibe zu sehen, doch es gelang mir nicht.
    Ich hatte das
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