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Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung
Autoren: T.C. Boyle
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EIN ZUSAMMENSTOSS
MIT DER GESCHICHTE

    An dem Tag, als Walter Van Brunt seinen rechten Fuß verlor, hatten ihn sporadisch Spukgestalten der Vergangenheit heimgesucht. Es begann beim Aufwachen, als ihm der Geruch von Kartoffelpuffern in die Nase stieg, ein Geruch, der ihn an seine Mutter erinnerte, die nach den Unruhen von Peterskill 1949 an Kummer gestorben war; weiter ging es während der trostlosen Mittagspause, die er teils nostalgischen Erinnerungen an seine Großmutter väterlicherseits, teils einem Leberwurstbrötchen widmete, das nach totem Fleisch und Chemie schmeckte. Am Nachmittag, an der heulenden Drehbank, stand auf einmal schemenhaft sein Großvater vor ihm, ein mürrischer, bierbäuchiger Mann, behaart wie ein Menschenfresser aus dem Märchen; und dann, kurz vor Feierabend, hatte er noch die vage, verschwommene Vision von einem grinsenden Holländer in Pluderhosen und hohem Spitzhut.
    Den ersten Geist, den Kartoffelpuffergeist, beschwor die flinke kulinarische Hand von Lola Solovay, seiner Adoptivmutter, herauf. Obwohl Walter noch nicht einmal vier gewesen war, als seine leibliche Mutter den Mächten der Bigotterie und eines fehlgeleiteten Patriotismus erlag, erinnerte er sich vor allem an ihre Augen, die wie fleischgewordene Seelen gewesen waren, und an die federleichten, leckeren Kartoffelpuffer, die sie immer reichlich mit saurer Sahne und selbstgemachtem Apfelmus übergossen hatte. Er lag im Bett, in dem Dämmerzustand zwischen Wachen und Träumen, und wartete auf den Wecker, der ihn zu seinem höllischen Job im Werk der Depeyster Manufacturing zitieren würde, als er den Duft dieser ätherischen Kartoffelpuffer schnupperte, und einen Moment lang war seine Mutter da, direkt neben ihm.
    Der Geist seiner Großmutter, Elsa Van Brunt, stand ebenfalls mit Essensgeruch in Verbindung. Er wickelte das Weißbrot mit Leberwurst aus, das Lola für ihn im morgendlichen Zwielicht kreiert hatte, und auf einmal war er zehn Jahre alt und verbrachte den Sommer mit den Großeltern am Fluß; es war ein Tag, so dunkel wie im Dezember, und ein Gewitter hockte oben auf dem Dunderberg. Die Großmutter war von ihrer Töpferscheibe aufgestanden, um das Mittagessen zu machen, und erzählte ihm dabei die Geschichte von Sachoes’ Tochter. Sachoes, so wußte Walter aus früheren Episoden, war der Häuptling der Kitchawanken, jenes Stammes, dem die Gründer von Peterskill-on-the-Hudson in den Tagen der holländischen Kolonie das Land für die Siedlung abgeschwatzt hatten. Damals waren die Kitchawanken, im Grunde ein lethargischer, friedliebender, Rindenhütten bauender Clan von Faulenzern und Austernessern, den kriegerischen Mohawk im Norden zur Treue verpflichtet. Tatsächlich waren diese Mohawk so wild, so grausam, so kriegerisch und raubgierig, daß sie nur einen einzelnen Krieger zum Abholen des Tributs schicken mußten, und Manitou mochte dem Stamme gnädig sein, der ihn nicht wie einen Gott bewirtete und mit wampumpeak und seawant in rauhen Mengen überhäufte. Kanyengahaga nannten sich die Mohawk selbst: Leute vom Ort des Feuersteins, bei den Kitchawanken und ihren mohikanischen Vettern dagegen hießen sie Mohawk : Leute, die Leute fressen – eine Anspielung auf ihre Neigung, all jene zu braten und zu verzehren, die ihnen nicht zu Willen waren.
    Nun ja. Weißbrotscheiben wurden auf den Teller gelegt, Tomaten geschnitten, eine in Zellophan gewickelte Leberwurst aus dem Kühlschrank geholt. Sachoes hatte eine Tochter, sagte Walters Großmutter, und deren Name war Minewa, nach der Göttin des Flusses, die Blitz und Donner schleuderte. Dabei zeigte sie aus dem Fenster über den breiten Rücken des Hudson hinweg zum Dunderberg, auf dessen Gipfel die Blitze wie Nervenenden zuckten. So wie die da.
    Eines geruhsamen Nachmittags im August kam ein Mohawkkrieger ins Dorf, nackt bis auf den Lendenschurz und bemalt wie Tod und Teufel. Tribut, verlangte er mit einer Stimme, die wie das Zischen einer Viper klang, dann brach er ohnmächtig zusammen; Blut spritzte ihm aus Mund und Ohren, und die Pockennarben in seinem Gesicht schwollen an. Minewa pflegte ihn. Falls er starb, wäre es aus mit dem Austernessen, mit den lustigen Fahrten in Rindenkanus und dem Auslutschen des süßen weißen Fleisches aus den Panzern der Blauscherenkrebse: es wäre aus mit den Kitchawanken. Dafür würden die Mohawk schon sorgen.
    Einen Monat lang lag er in Sachoes’ Hütte flach, den Kopf auf Minewas Schoß gebettet, während sie mit Ottermoschus sein
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