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Rico, Oskar und der Diebstahlstein

Rico, Oskar und der Diebstahlstein

Titel: Rico, Oskar und der Diebstahlstein
Autoren: Andreas Steinhöfel
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sowieso dir gehört … Würde ich den Stein behalten, dann würde ich Fitzke eher vergessen, als wenn ich ab und zu hierherkomme. Ich hätte ihn sowieso viel früher besuchen sollen. Als er noch lebte.«
    Â»Warum haben Sie es nicht getan?«
    Â»Das frage ich mich inzwischen auch. Ich habe ihn immer vermisst, obwohl wir im Streit auseinandergegangen waren. Wenn man jung ist, weiß man es vielleicht nicht besser. Und wenn man alt ist, kann man es nicht mehr ändern.« Er seufzte, schaute auf das Grab und von dort in den Himmel, als könnte er dort oben einen Engel mit besonders schlechter Laune in einem dunkelblauen Schlafanzug mit grauen Längsstreifen herumfliegen sehen. »Nach Fitzkes Tod rief Mommsen mich an, und ich verständigte Julia. Hier am Grab habe ich Mommsen gefragt, ob er mich in die Wohnung einlassen würde, damit ich mir den Kalbstein holen konnte. Zur Erinnerung.«
    Â»Und da hat Julia vorgeschlagen, das zu erledigen, oder?«
    Der Bonhöfer nickte.
    Â»Weil sie so endlich an den Rubin rankommen konnte.«
    Â»Eins von Fitzkes Hirngespinsten, ich hab nie daran geglaubt. Im Gegensatz zu Julia. Fitzke hatte ihr irgendeinen Stein gezeigt, als sie noch ein Kind war. Sie hatte das nicht vergessen.«
    Ich holte die drei Steine aus meinen Taschen, die der Hehler in die Nacktbadedünen gepfeffert hatte. Den rötlich schimmernden zeigte ich dem Bonhöfer. »Das ist ein Granat von schlechter Qualität. Fitzke und Julia haben ihn beide für einen Rubin gehalten. Aber er ist nichts wert. Er hat Einschüsse.«
    Der Bonhöfer grinste, was sein Knitterfaltengesicht noch knitteriger machte. »Einschlüsse.«
    Â»Genau. Hab ich doch gesagt.«
    Ich legte den Granat und die beiden anderen Steine zu den übrigen auf das Grab. Gezählt hatten wir sie nicht, aber es waren Hunderte und Aberhunderte. Anfangs hatte ich gedacht, sie würden unmöglich alle hierherpassen oder wenn, dann nur als ein riesiger Haufen. Aber ich hatte mich getäuscht.
    Â»Wie geht es Julia?«, sagte ich.
    Â»Die kommt durch. Sie kommt immer durch. Anders als ihr Kerl hat sie ja keine Vorstrafen, und tatsächlich ist sie ja nicht mal wirklich in Fitzkes Wohnung eingebrochen. Na ja …« Der Bonhöfer zuckte die Achseln. »Als ihr bei mir aufgetaucht seid, du und der Kleine mit der Strickmütze –«
    Â»Oskar.«
    Â»â€“ da war Julia gerade mal eine halbe Stunde aus dem Haus. Hatte mir den Kalbstein übergeben und bei der Gelegenheit den Schlüssel für Prerow mitgenommen. Ich wusste ja nicht, was sie dort vorhatte. Ich wusste nicht, dass ihr Justin Spielschulden hatte und in Geldnöten steckte oder dass einer ihrer Exfreunde sich in Rostock als Hehler verdingt.«
    Â»Aber warum haben Sie uns angelogen?«
    Â»Weil ich den Kalbstein unbedingt behalten wollte. Ich wusste, wie stolz Fitzke darauf gewesen war. Merkwürdig, oder?« Er stieß einen kleinen Laut aus, der nicht wirklich wie ein Lachen klang. »Früher hatte ich mich wegen dieses Steins über ihn lustig gemacht. Aber plötzlich schien er das Einzige zu sein, was von Fitzke noch geblieben war. Deshalb tat ich euch gegenüber so, als hätte ich mit der ganzen Sache nichts zu tun, als wüsste ich Julias Handynummer nicht … all das. Es tat mir natürlich leid, dass du so verzweifelt warst, daher mein Vorschlag, dass du dir den Stein ab und zu anschauen könntest. Aber du wolltest ihn selber haben. Aus demselben Grund wie ich.«
    Â»Weil er irgendwie Fitzke ist.«
    Â»Ja.« Der Bonhöfer warf einen letzten Blick auf das Grab und holte tief Luft. »Ich muss los. Vielleicht treffen wir uns hier ab und zu.«
    Â»Sie könnten mir von früher erzählen«, sagte ich. »Aus der Dieffe 93. Natürlich nur, wenn Sie Lust dazu haben.«
    Â»Ich denke, die hätte ich.«
    Â»Wie heißen Sie mit Vornamen?«
    Â»Herbert.« Er lächelte. »Also, Wiedersehen.«
    Er verließ den Friedhof mit zügigen Schritten, als hätte er noch was zu erledigen. Vielleicht besuchte er seine Tochter. Ich schaute ihm nach, und je weiter er ging und je kleiner er dabei wurde, umso weniger sah ich einen erwachsenen Mann, sondern einen kleinen vaterlosen Jungen.
    Der Kalbstein lag warm in meiner Hand. Fitzkes Vermächtnis war vielleicht dieser Stein, aber was er wirklich hinterlassen hatte, war ein Mann, der
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