Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rico, Oskar und der Diebstahlstein

Rico, Oskar und der Diebstahlstein

Titel: Rico, Oskar und der Diebstahlstein
Autoren: Andreas Steinhöfel
Vom Netzwerk:
rum.
    Ich reckte den Hals. Am Eingang zum Friedhof war immer noch niemand zu sehen. Wenn Oskar und Lars sich nicht ein bisschen beeilten, würden sie alles verpassen. Wahrscheinlich hatte Lars mal wieder bis mittags gepennt, und Oskar kriegte ihn nicht aus dem Bett, oder Lars hatte nach dem Aufstehen aus dem Fenster geguckt und sofort die Krise gekriegt, weil entweder zu viel oder zu wenig Sonne schien, weil irgendeine Wolke nicht die richtige Form für einen Freitag hatte oder weil er fand, dass die schönen Pellebäume vorm Fenster noch nicht grün genug waren für einen Frühsommertag Anfang Juni. Oskars Papa hat total einen an der Klatsche, das steht mal fest. Manchmal überlege ich, ob es eine gute Idee von Mama war, so einem Heini unsere alte Wohnung im Zweiten anzubieten, obwohl es natürlich der Hammer ist, dass Oskar jetzt im selben Haus wohnt wie ich.
    Der Pfarrer schien auch auf die beiden zu warten. Ich hörte ihm zwar nicht richtig zu, aus Angst vor dem Grabloch und wegen der Anteilnahme und dergleichen. Aber offenbar ging ihm langsam die Trauerrede aus, denn inzwischen erzählte er schon von seinem eigenen letzten Urlaub, wo er mit Stecken und Stab durch ein finsteres Tal gewandert war. Selber schuld. Er hätte ja auch nach Sri Lanka fliegen können, wo dauernd die Sonne scheint, mit Getränken und Handtüchern für umsonst.
    Ich reckte noch mal den Hals.
    Nitschewo.
    Kein Oskar und kein Lars in Sicht.
    Nitschewo ist russisch und heißt nichts . Es ist schon das sechste russische Wort, das ich gelernt habe. Irina meint nämlich, irgendwann müsste ich sie oder Mama womöglich mal in der Boutique vertreten, und weil sie viele russische Kundinnen anlocken will, muss ich dann ein bisschen die Sprache können. Meine anderen Worte auf Russisch sind Ja, Nein, Danke und Raus hier.
    Ãœber uns rumpelte laut der Himmel. Wind kam auf. Er strich über die vielen Gräber und Blumen und durch die hohen Bäume. Mama wehten ihre blonden Haare ums Gesicht. Ich guckte traurig auf den Sarg. Wenn das hier noch viel länger dauerte, würde es bald anfangen zu regnen, und das Grab füllte sich womöglich bis obenhin mit Wasser und schwappte über, und wir würden mit nassen Füßen dem Sarg nachgucken, wie er langsam den Hang runter in Richtung Landwehrkanal davontrieb.
    Auf der anderen Seite vom Grab standen der van Scherten und Frau Dahling, beide in Trauerkleidung. Schon zum Trost hätte ich es toll gefunden, wenn die beiden sich bei den Händen gehalten hätten, denn seit dem letzten Sommer, das wusste ich von Frau Dahling, hatte sie eine kleine Zuneigung zum van Scherten gefasst. Aber nitschewo . Der van Scherten zickte aus irgendeinem Grund noch rum. Vielleicht hatte es was mit seiner geliebten Hannah zu tun. Die lag ebenfalls hier begraben, in irgendeiner anderen Ecke dieses riesigen Friedhofs, aber genau diese Ecke kann der van Scherten von seinem Wohnungsfenster aus sehen. Womöglich braucht er fürs Verlieben einfach einen größeren Sicherheitsabstand.
    Aus der Dieffe 93 war außer Mama und mir und dem Bühl und Frau Dahling nur noch der Mommsen erschienen. Der guckte über seinen dicken Bauch hinweg, runter auf seine verballerten Schuhspitzen, kratzte sich an der Nase, faltete dann die Hände und schielte verstohlen zu der Inschrift auf dem schlichten kleinen Holzkreuz am oberen Ende des tiefen dunklen Lochs.
    Gustav W. Fitzke
    Vielleicht wusste der Mommsen, wofür das W stand. Er war der Einzige im Haus gewesen, der mit Fitzke einigermaßen gut klargekommen war, wahrscheinlich, weil Fitzkes Gemeinheiten ihm in befuseltem Zustand nicht so viel ausgemacht hatten. Mit Ausnahme von ihm und von Frau Dahling und natürlich von Mama und mir fand der Rest der Dieffe 93 Fitzkes Tod nicht wirklich schlimm, vor allem die RBs und die Kesslers nicht. Herr Runge-Blawetzky hatte sowieso immer Angst gehabt, Fitzke könnte mal ein Spiegelei oder dergleichen anbrennen lassen und so seine Bude in Brand stecken, und dann wäre die Dachwohnung der RBs obendrüber gleich mit abgefackelt. Und Frau Kessler hatte gesagt, sie würde Fitzke ganz sicher nicht vermissen, weil sein ewiges Gestänkere bei ihren doppelten Zwillingen Wachstumsstörungen verursacht hätte.
    Aber ich würde Fitzke und sein Gestänkere vermissen.
    In irgendeinem der vielen Bäume zwitscherte ein Vogel, so schön, als gäbe es auf dieser Welt
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher