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Rico, Oskar und der Diebstahlstein

Rico, Oskar und der Diebstahlstein

Titel: Rico, Oskar und der Diebstahlstein
Autoren: Andreas Steinhöfel
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gemacht. Daran war allerdings bloß ein Missverständnis schuld gewesen. Der Bühl hatte mir danach gesagt, die Polizei würde Kinder auf jeden Fall ernst nehmen, solange sie nicht nur anrufen, um Sind da die Bullen? Ich will zehn Buletten bestellen! ins Telefon zu brüllen, also könnten Oskar und ich eigentlich doch –
    Â»Okay, gehen wir zu Mommsen«, kam Oskar mir zuvor. Er wollte sofort losstiefeln, hielt aber inne, als ich mich bückte und Fitzke seinen Wohnungsschlüssel aus der Hand nahm. Ich musste zerren, weil die knorrigen Finger ihn so fest hielten.
    Â»Was hast du vor?«, sagte Oskar.
    Ich zuckte die Achseln und zeigte auf Fitzkes Wohnungstür. »Ich wollte ihm eine Decke holen. Er kann doch nicht hier so im Kalten liegen.«
    Â»Er friert ganz sicher nicht«, sagte Oskar.
    Ich guckte Fitzke noch mal an, wie er da so harmlos lag. Das Letzte, was er in seinem Leben gesehen hatte, war der Linoleumboden im Treppenhaus gewesen. Plötzlich fühlte ich etwas Schwarzes in meinem Bauch. Es war wie dunkles Wasser, in das man einen Stein geworfen hatte, und jetzt breiteten sich die Wellen aus und wurden größer und größer. Richtige Trauerwellen. Die Schwärze schwappte über mein Herz und in meinen Kopf und vor meine Augen. Es war wie ohnmächtig werden, ohne dabei umzufallen.
    Â»Rico?«
    Â»Hm?«
    Oskars kleine Finger pulten sich in meine rein. Ich hatte gar nicht gemerkt, wie ich angesichts von Fitzkes Leiche die Hände zu Fäusten geballt hatte. »Komm. Es geht ihm bestimmt ganz gut jetzt.«
    Ja, jetzt vielleicht, dachte ich, irgendwo im Himmel. Aber vorher war Fitzke ein einsamer Mann gewesen, und er war einsam gestorben, und womöglich konnten sie ihn im Himmel nicht leiden, weil er da oben garantiert gleich wieder anfing, wegen irgendwas zu meckern. Hier unten auf der Erde war es ja genauso gewesen.
    Der alte Saftsack, hörte ich Mama in meiner Erinnerung sagen.
    Nachdem er Oskar und mich letztes Jahr eingeladen und uns seine Steinesammlung gezeigt hatte, war Fitzke wieder verdammt unfreundlich geworden. Keine Einladungen mehr. Wenn ich ihm im Treppenhaus oder auf der Straße begegnet war, hatte er immer so ausgesehen, als würde er über etwas nachdenken, das ihm ordentlich zu schaffen machte. Ihm und womöglich auch seinem Herzen.
    Mann, Mann, Mann!
    Ich steckte Fitzkes Wohnungsschlüssel in meine Hosentasche und folgte Oskar nach unten. Die blöden Trauerwellen waren immer noch da. Erst als wir bei Mommsen klingelten, wurden sie endlich kleiner und ribbelten schließlich ganz davon.
    Beim Mommsen bin ich immer halb gern und halb ungern. Es riecht komisch bei ihm in der Wohnung, so sauer und beißend, als würden außer dem Mommsen auch noch die Tapeten und der alte Parkettboden Bier und Schnaps trinken, und besonders aufgeräumt ist es dort auch nie. Aber in Mommsens Flur steht eine kleine Kommode, in der bunkert er Schokolade. Verschiedene Sorten. Er bunkert sie, weil er Schokolade genauso nahrhaft findet wie ich und weil er glaubt, dass sie gut für die Nerven ist. Manchmal, wenn ich zufällig bei ihm anklopfe und ihn frage, wie es ihm denn so geht und ob er nicht auch findet, dass heute ein schöner Tag ist, weil der Sonnenschein bestimmt prima für die Kakaoernte in Südamerika ist, schenkt er mir eine Tafel. Das funktioniert aber höchstens einmal pro Woche. Öfters zufällig anklopfen hat also keinen Zweck, und das Wetter ist ja auch nicht immer passend.
    Die Tür ging auf. Eine Schnapsfahne wehte uns ins Gesicht. Die Augen vom Mommsen waren so winzig klein und rot, als hätte ihm jemand zwei Kirschen in den Schädel gesteckt.
    Â»Wassen?«
    Â»Herr Fitzke liegt tot vor seiner Wohnungstür«, sagte Oskar. Seine Stimme klang gepresst, weil er versuchte, gleichzeitig zu reden und die Luft anzuhalten. »Könnten Sie bitte die Polizei rufen?«
    Â»Tot?«
    Â»Auf jeden Fall«, presste Oskar raus.
    Â»So. Na dann.«
    Der Mommsen drehte sich um und schlurfte zum Telefon. Oskar ließ zischend die Luft aus sich raus.
    Das alte Telefon steht auf der kleinen Kommode mit dem Schokoladenvorrat drin. Ich guckte sehnsüchtig hin, aber es war gerade kein guter Zeitpunkt, um danach zu fragen. Man muss Respekt vor den Toten haben, und da gehört es sich nicht, wenn man gerade eben erst einen gefunden hat, ans Essen zu denken. Womöglich lässt der liebe Gott sonst
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