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Rico, Oskar und der Diebstahlstein

Rico, Oskar und der Diebstahlstein

Titel: Rico, Oskar und der Diebstahlstein
Autoren: Andreas Steinhöfel
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keinen Tod und keine Begräbnisse und keine düsteren Gewitter. Der Mommsen schniefte leise und zog die Nase hoch. Frau Dahling schob sich ein vorsichtiges Millimeterchen näher an den van Scherten ran.
    Mama drückte meine Hand ein wenig fester. Ich fühlte mich sehr feierlich und sagte leise Tschüss. Vom Himmel fielen die ersten Regentropfen, der Pfarrer murmelte, denn Staub bist du, und zum Staub wirst du zurückkehren, Amen, und ich gab Gustav W. Fitzke ein stilles Versprechen: dass ich alles tun würde, um sein Erbe treu und sorgfältig zu bewahren, wie er es mir in seinem Letzten Willen aufgetragen hatte.

    Fitzkes Leiche hatten Oskar und ich entdeckt, letzten Montag. Oskar hatte mich am Förderzentrum abgeholt, und später war ich froh, dass wir als erste Kinder aus der Schule nach Hause kamen. Der dicke Thorben von den RBs wäre sonst auf seinem Weg in den Fünften garantiert total unwürdig oder sogar mit Absicht über die Leiche drübergelatscht.
    Fitzke war unser erster Toter überhaupt, deshalb waren wir etwas aufgeregt. Er lag, auf der Seite und mit angewinkelten Beinen, vor seiner verschlossenen Wohnungstür im Vierten, in seinem verlotterten dunkelblauen Schlafanzug mit den grauen Längsstreifen. Mit Augen zu. Das war schon mal gut. Ich hätte garantiert Schiss gekriegt, wenn seine Leiche mich angestarrt hätte.
    LEICHENSTARRE
: Wenn jemand so plötzlich und unerwartet tot umfällt, dass er nicht mal mehr dazu kommt, die Augen zuzumachen, und dich deshalb anstarrt. Und starrt und starrt und starrt. Sehr unheimlich, auch wenn man selber an Plötzlich und Unerwartet kein bisschen schuld ist.
    Wir stellten unsere Rucksäcke ab. Fitzke sah aus, als wäre er auf dem Boden rumgekrochen, auf der Suche nach irgendwas. Vielleicht war ihm sein Wohnungsschlüssel runtergefallen. Den hielt er verkrampft in einer Hand, und irgendwie wusste ich sofort, dass da kein Leben mehr in ihm drin war.
    Â»Jetzt ist es also passiert«, flüsterte Oskar. Er kniete sich vor Fitzke hin und legte ihm zwei Finger an den Hals, dann fühlte er den Puls, wie es die Leute im Fernsehen immer machen. Fitzkes faltige Hand sah bläulich aus, aber dafür war sein von Bartstoppeln übersätes Gesicht eher gelblich. Oskar wartete eine Weile. Schließlich schüttelte er den Kopf.
    Â»Das Herz?«, sagte ich.
    Â»Bestimmt.«
    Fitzke hatte es von Kindheit an am Herzen gehabt. Er nahm deshalb Tabletten, aber die verwahrte er in seinem Badezimmer. Warum hatte er die bloß nicht ständig bei sich gehabt, wenn er doch wusste, wie schnell sein Herz mal danebenschlug?
    Ich ging in die Hocke und tippte ihm vorsichtig auf die Schulter. Man kann ja nie wissen. In Horrorfilmen springen die Leichen auch manchmal wieder hoch, und im nächsten Moment haben sie dir ein Ohr abgebissen, und du kriegst es nicht wieder, weil die Leichen es gierig runterschlucken, als wäre es eine leckere kleine Brezel. Aber Fitzke sprang nicht auf. Ich betrachtete sein gelbliches Gesicht. Auf jeden Fall mausetot. So friedlich hätte er niemals ausgesehen, wenn er noch das kleinste bisschen gelebt hätte.
    Â»Sollen wir einen Krankenwagen rufen?«, sagte ich.
    Â»Nee.« Oskar schüttelte den Kopf. »Er ist tot, was sollen die da schon machen? Ich schätze, wir müssen die Polizei verständigen.«
    Ich guckte automatisch zur Tür vom Bühl gegenüber. Der war auf Arbeit in seiner Polizeidienststelle, sonst hätten wir es jetzt leicht gehabt. Um diese Zeit waren praktisch alle im Haus auf Arbeit, außer Frau Kessler, und die würde garantiert einen Nervenzusammenbruch kriegen, wenn sie erfuhr, dass ein Toter kreuz und quer im Treppenhaus herumlag. Mama war seit sieben Uhr früh mit Irina in der zukünftigen Boutique, um den Handwerkern Feuer unterm Hintern zu machen, hatte sie gesagt, und Lars pennte noch, und falls er doch schon wach war, würde eine Leiche ihn bestimmt völlig überfordern. Er bricht schon zusammen, wenn er im Kühlschrank Essen entdeckt, bei dem erst seit einem Tag das Verfallsdatum abgelaufen ist.
    Â»Vielleicht sollten wir das besser dem Mommsen überlassen«, überlegte ich laut. Der Mommsen ist schließlich Hauswart, und im Hinterhof muss er auch immer darauf achten, dass nichts im Weg liegt. Außerdem hatte ich letztes Jahr, als Oskar entführt worden war, keine guten Erfahrungen mit der Polizei am Telefon
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