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Richter 07

Richter 07

Titel: Richter 07
Autoren: Gulik
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oder abreisende Besucher auszuführen. Vor vierzehn Tagen verzeichneten wir einen ziemlich schlimmen Fall. Fünf Räuber versuchten, einen meiner Boten aufzuhalten, der eine Kiste Goldbarren mit sich führte. Glücklicherweise konnten seine beiden Begleiter den Angriff abwehren und drei Räuber niedermachen. Die beiden übrigen ergriffen die Flucht.« Er leerte seinen Becher und fragte darauf: »Ich hoffe, Ihr habt anständige Unterkunft gefunden, Herr?«
    »Ja, in der Herberge zur ›Ewigen Wonne‹. Eine sehr hübsche Zimmerflucht, die unter dem Namen ›Roter Pavillon‹ bekannt ist.«
    Alle vier Männer starrten den Richter wie auf einen Schlag an. Feng Dai legte seine Eßstäbchen hin und sagte betroffen:
    »Der Wirt hätte Euch jene Räume nicht zuweisen sollen, Herr. In ihnen beging vor drei Tagen der Akademiker Selbstmord. Ich werde sofort veranlassen, daß Euch ein angemesseneres Quartier …«
    »Mich stört das nicht im geringsten«, unterbrach ihn der Richter rasch. »Bei meiner Anwesenheit dort werde ich mich mit der Örtlichkeit des Unglücksfalles vertraut machen können. Und gebt dem Wirt keine Schuld, denn ich entsinne mich, daß er mich warnen wollte, doch ich schnitt ihm das Wort ab. Sagt mir, in welchem der Räume es geschah, ja?«
    Feng war noch immer außer Fassung, so daß Tau Pan-te an seiner Stelle mit beherrschter Stimme antwortete:
    »Im Schlafzimmer, dem ›Roten Zimmer‹, Herr. Die Tür war von innen abgeschlossen. Amtmann Lo mußte sie aufbrechen lassen.«
    »Ich bemerkte schon, daß das Schloß erneuert war. Nun ja, da der Schlüssel innen steckte und das einzige Fenster mit Eisenstangen verbarrikadiert ist, die nicht mehr als eine Spanne Platz lassen, können wir wenigstens als sicher annehmen, daß keine Teilnahme von Außenstehenden in Frage kommt. Auf welche Weise tötete sich der Akademiker?«
    »Er durchschnitt sich die rechte Halsschlagader mit seinem eignen Dolch«, nahm Feng Dai wieder das Wort. »Es hatte sich folgendes zugetragen. Der Akademiker hatte sein Abendessen allein draußen auf der Veranda eingenommen. Darauf ging er nach innen, um, wie er dem Diener sagte, seine Papiere zu ordnen. Er fügte hinzu, daß er nicht gestört werden wollte. Einige Stunden später fiel es jedoch dem aufwartenden Diener ein, daß er den Teekorb zu bringen vergessen hatte. Als er an der Tür des Roten Zimmers klopfte, bekam er keine Antwort. Er ging auf die Veranda hinaus, um durchs Fenster zu schauen und sich zu vergewissern, ob der Akademiker schon zu Bett gegangen sei. Er sah ihn auf dem Rücken vor dem Bett liegen, die Brust von Blut überströmt.
    Sofort alarmierte der Diener seinen Wirt, der fortrannte und mich benachrichtigte. Wir gingen zusammen ins Gasthaus, wo Amtmann Lo wohnte, und mit ihm begaben wir uns dann zur Herberge zur ›Ewigen Wonne‹. Der Amtmann ließ die Tür aufbrechen. Der Körper wurde zum Taoistentempel auf der anderen Seite der Insel getragen, und dort wurde die Leichenschau noch in derselben Nacht vorgenommen.«
    »Traten irgendwelche besonderen Merkmale zutage?« fragte Richter Di.
    »Nein, Herr. Das heißt, doch einige. Ich erinnere mich jetzt daran, daß ein paar dünne, lange Kratzer im Gesicht des Akademikers und an den Unterarmen entdeckt wurden. Nun gut, Amtmann Lo schickte sofort einen Sonderboten zum Vater des Akademikers, den bekannten Kaiserlichen Zensor Dr. Li Wee-tsching, der als Beamter außer Dienst sechs Meilen nördlich von hier in einer Bergvilla lebt. Der Bote kehrte mit dem Onkel des Verstorbenen zurück, weil Dr. Li selbst schon seit einigen Monaten ernstlich erkrankt war. Der Onkel ließ den Toten einsargen und zur Familiengrabstätte überführen.«
    »Wer war die Kurtisane, in die sich der Akademiker so leidenschaftlich verliebt hatte?« wollte der Richter wissen.
    Wieder trat eine bedrückende Stille ein. Feng räusperte sich und antwortete mit unglücklicher Miene:
    »Es war Herbstmond, Herr. Die diesjährige Blumenkönigin.«
    Richter Di seufzte. Also war es, wie er befürchtet hatte!
    »Der Akademiker hinterließ ihr keine Botschaft, wie es die meisten enttäuschten Liebhaber gewöhnlich tun«, nahm Feng seinen Bericht schnell wieder auf. »Doch wir entdeckten, daß er auf dem auf seinem Tisch liegenden Bogen Papier zwei Kreise gezogen hatte; darunter hatte er den Namen ›Herbstmond‹ gemalt und dreimal wiederholt. Aus diesem Grunde lud sie der Amtmann vor, und sie bestätigte auch, daß sich der Akademiker in sie verliebt hatte.
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