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Richter 07

Richter 07

Titel: Richter 07
Autoren: Gulik
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der anderen Seite des Tisches gestört wurde. Silberfee, die dem Kuriositätenhändler Wein in seinen Becher schenkte, machte einen verzweifelten Versuch, dessen Hand von ihrem Busen wegzustoßen. Dabei verschüttete sie Wein auf sein Gewand.
    »Du ungeschicktes Ding!« rief ihr Herbstmond zu. »Kannst du nicht besser aufpassen? Und deine Frisur sitzt ganz schief! Geh sofort in die Garderobe und bring dich in Ordnung!«
    Die Blumenkönigin sah dem erschrockenen Mädchen prüfend nach, als es zur Tür trippelte. Sie wandte sich an den Richter und fragte ihn vorwurfsvoll:
    »Möchtet Ihr mir nicht ein wenig Wein einschenken? Als eine besondere Gunst?«
    Als er ihr den Becher füllte, bemerkte er, daß sie vom Wein erhitzt war; endlich stand sie unter seiner Wirkung. Sie feuchtete ihre Lippen mit der Zungenspitze an und lächelte weinselig, anscheinend mit ihren Gedanken ganz woanders. Nachdem sie einige Schlucke getrunken hatte, stand sie plötzlich auf und sagte: »Entschuldigt mich. Gleich bin ich zurück!«
    Nachdem sie gegangen war, versuchte der Richter, mit Kia Yu-po ein Gespräch anzufangen, doch war der junge Poet in seine trübe Stimmung zurückgefallen. Neue Gerichte wurden aufgetragen, und alle aßen mit großem Appetit. Die Musikantinnen spielten verschiedene neumodische Weisen, die Richter Di nicht besonders gefielen. Das Essen fand er jedoch ausgezeichnet.
    Nachdem das letzte Fischgericht aufgetragen worden war, kehrte Herbstmond zurück und war offensichtlich in bester Laune. Als sie hinter dem Kuriositätenhändler vorbeiging, flüsterte sie ihm etwas ins Ohr und ging dann weiter, indem sie ihm vertraulich mit dem Fächer auf die Schulter schlug. Beim Hinsetzen sagte sie zum Richter:
    »Schließlich wird es noch ein ganz vergnügter Abend!« Sie legte ihre Hand auf seinen Arm, neigte ihren Kopf so dicht an ihn, daß er den Moschusduft aus ihrem Haar einatmen mußte, und sagte zärtlich: »Soll ich Euch gestehen, warum ich bei unsrer Begegnung auf der Veranda so kurz angebunden war? Weil ich mir selbst nicht eingestehen wollte, daß ich Gefallen an Euch fand. Auf den ersten Blick!« Sie schaute ihm tief in die Augen und fuhr dann fort: »Und ich mißfiel Euch auch nicht, nicht wahr – als Ihr mich saht?«
    Während Richter Di nach einer passenden Antwort suchte, drückte sie seinen Arm und plapperte schnell weiter:
    »Es ist so nett, einem weisen und so erfahrenen Mann zu begegnen, wie Ihr seid! Ihr ahnt ja nicht, wie sehr mich diese sogenannten Modelaffen, diese Grünschnäbel, langweilen! Man fühlt sich erlöst, wenn man einen reifen Mann wie Euch kennenlernt, der …« Sie blickte ihn scheu an, schlug die Augen nieder und setzte sehr sanft hinzu: »der den tiefen Sinn … der Dinge wirklich kennt.«
    Erleichtert atmete der Richter auf, als er Wen Yüan aufstehen sah, um sich von der Tischgesellschaft zu verabschieden. Er gab vor, daß ihn ein wichtiger Kunde noch sehen wolle, und bat die Freunde höflich um Entschuldigung.
    Jetzt fing die Blumenkönigin an, mit Feng und Tau Scherze auszutauschen. Obgleich sie viele Becher in rascher Folge ausleerte, wurde ihre Zunge nicht schwer; ihre Gegenrede war stets witzig und geistreich. Aber endlich, nachdem Feng eine schnurrige Geschichte zum besten gegeben hatte, legte sie plötzlich die Hand vor die Stirn und sagte klagend:
    »Oh, ich habe zuviel getrunken! Würdet Ihr Herren es mir sehr verübeln, wenn ich mich jetzt zurückzöge? Dies ist mein Abschiedsbecher!«
    Sie ergriff Richter Dis eigenen Becher und trank ihn langsam aus. Dann verneigte sie sich und ging.
    Als der Richter mit Abscheu auf den verschmierten roten Streifen der Lippenschminke am Rande seines Bechers starrte, bemerkte Tau Pan-te mit einem dünnen Lächeln:
    »Ihr habt großen Eindruck auf unsere Blumenkönigin gemacht, Herr!«
    »Sie wollte ja nur höflich mit einem Fremden sein«, sagte Richter Di abweisend.
    Kia Yu-po erhob sich und bat, ihn zu entschuldigen, da er sich nicht ganz wohl fühle. Zu seinem Bedauern erkannte der Richter klar, daß er sich erst nach einer langen Pause entfernen dürfe, weil man sonst annehmen würde, daß er der Kurtisane nachginge. Ihr Trinken aus seinem Becher war eine unzweideutige Aufforderung an ihn gewesen. Himmel! In welche verfängliche Lage hatte ihn dieser Schuft Lo gebracht! Mit einem Seufzer machte er sich an die süße Suppe, die das Ende des Festmahls anzeigte.

Viertes Kapitel
    Nachdem Ma Jung sich von Richter Di am Tor der »Kranichlaube«
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