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Richter 07

Richter 07

Titel: Richter 07
Autoren: Gulik
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Kuriositätenhändler Wen verzog seine dünnen Lippen. Indem er seinen Spitzbart bedächtig strich, fragte er vorsichtig:
    »Sagte das Amtmann Lo, Herr?«
    »Nicht mit so vielen Worten«, räumte der Richter ein. »Mein Kollege war in Eile, so daß er mir nur einen knappen Überblick geben konnte.«
    Wen warf Feng einen bedeutungsvollen Blick zu. Tau Pan-te betrachtete den Richter mit seinen müden, melancholischen Augen und begann ruhig:
    »Die auf der Paradiesinsel herrschende Atmosphäre ist leider Gefühlskonflikten förderlich, Herr. Wir, die wir hier aufgewachsen sind, nehmen der Liebe gegenüber eine ziemlich leichte, oberflächliche Haltung ein. Wir sind dahin gelangt, sie als einen vornehmen Zeitvertreib, ein Spiel zu geringfügigen Einsätzen, ein flüchtiges Vergnügen von wenigen Stunden Dauer zu betrachten. Der Mann, der Glück gehabt hat, ist um eine schöne Erinnerung reicher, der Verschmähte nimmt sein Los auf die leichte Schulter und sucht Entschädigung bei einer entgegenkommenderen Spielgefährtin. Doch Leute von auswärts finden es öfters schwierig, den richtigen Abstand in ihren Liebesbeziehungen zu halten. Und da unsre Tanzmädchen und Kurtisanen in allen Liebeskünsten äußerst gewandt sind, lassen sich diese Außenseiter leicht viel zu tief ein – mit den bekannten tragischen Folgen.«
    Richter Di hatte so feingewählte Worte von einem Weinhändler nicht erwartet. Neugierig fragte er:
    »Seid Ihr auf dieser Insel einheimisch, Herr Tau?«
    »Nein, Euer Gnaden, wir kommen vom Süden. Doch vor vierzig Jahren ließ sich mein Vater hier nieder und übernahm alle Weinläden käuflich. Zum Unglück starb er viel zu früh, als ich noch ein Kind war.«
    Feng erhob sich schnell und sagte, wie es dem Richter vorkam, mit erzwungener Heiterkeit:
    »Meine Herren, es wird Zeit, uns etwas Besseres als Tee zu Gemüte zu führen! Laßt uns zu Tisch gehen!«
    Er führte den Richter feierlich zum Ehrenplatz der Tür gegenüber. Er selbst setzte sich entgegengesetzt auf die andere Seite mit Tau Pan-te zu seiner Linken und dem Kuriositätenhändler Wen Yüan rechts von sich. Dem jungen Poeten wies er den Platz rechts von Richter Di an, worauf er einen Trinkspruch auf den Richter zu dessen Begrüßung auf der Insel ausbrachte.
    Richter Di nippte ein wenig von dem starken Wein und fragte dann, indem er auf den leeren Stuhl zu seiner Linken zeigte:
    »Erwartet Ihr noch einen weiteren Gast?«
    »So ist es in der Tat, Euer Gnaden, und zwar einen ganz besonderen Gast!« gab Feng zur Antwort. Wiederum war der Richter von dem künstlich heiteren Ton befremdet. »Am späteren Abend wird uns eine schöne Kurtisane, die berühmte Herbstmond, Gesellschaft leisten.«
    Der Richter zog die Brauen hoch. Von Kurtisanen wurde erwartet, daß sie entweder standen oder etwas abseits auf Taburetten saßen. Auf keinen Fall durften sie mit am Tisch sitzen, als ob sie Gäste wären. Tau Pan-te hatte die Richter Di bewegenden Zweifel offenbar erraten, denn er beeilte sich zu erklären:
    »Berühmte Kurtisanen stellen einen wichtigen Faktor für uns dar, das werden Euer Gnaden zu würdigen wissen; dementsprechend genießen sie auch eine ungewöhnliche Behandlung. Nebst unseren Spieltischen ziehen die Kurtisanen einen stetigen Strom von Fremden an, woraus sich der halbe Nutzen für die Paradiesinsel ergibt.«
    »Davon führen wir vierzig Prozent an die Regierung ab«, bemerkte der Kuriositätenhändler trocken.
    Schweigend nahm Richter Di ein Stück gesalzenen Fisch mit seinen Eßstäbchen auf. Er wußte, daß die von diesem Vergnügungsort aufgebrachten Steuern einen nicht unbeträchtlichen Anteil der Regierungseinkünfte aus der Provinz ausmachten. Er sagte zu Feng:
    »Ich vermute, daß das viele Geld, das hier von Hand zu Hand geht, es reichlich schwierig macht, die Ordnung auf der Insel aufrechtzuerhalten.«
    »Auf der Insel selbst ist es nicht allzu schwer, Herr. Ich verfüge über rund sechzig Mann, die sämtlich aus der hiesigen Bevölkerung kommen und die nach erfolgter Zustimmung des Amtmanns zu Sonderpolizisten ernannt werden. Sie tragen keine Uniform und können sich daher leicht unter die Besucher der Spielsäle, Restaurants und Bordelle mischen. In unauffälliger Weise führen sie die Aufsicht über alles, was hier vorgeht. Das Land in der Umgebung dagegen stellt uns vor vielerlei Probleme, denn häufig haben wir es mit Straßenräubern zu tun, die angezogen werden durch die leichte Gelegenheit, Überfälle auf ankommende
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