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Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz

Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz

Titel: Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz
Autoren: Heinrich Steinfest
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danach nahm er die Einfüllung vor. Denn bei aller Routine und Systematik, die sich in diesen drei Jahren gebildet und immer stärker verfestigt hatte, behielt Grong das Prinzip aufrecht, nach welchem es einem Gast erlaubt sein mußte, es sich einmal anders zu überlegen. Auch wenn dies nie und nimmer geschehen würde.
    Die wenigen und kurzen Gespräche, die der Wirt und sein Gast geführt hatten, waren nie in eine private oder anekdotische Richtung gegangen. Meistens war vom Wetter die Rede gewesen, durchaus in einer ernsthaften Art, etwa die Konsistenz des Nebels behandelnd oder inwieweit an nebelfreien und wolkenlosen Tagen, wenn die Sonne ungehindert auf den Mariensee traf, das schwarze Wasser einen rötlichen Ton annahm, der in etwas gruseliger Weise an ein gegen das Licht gehaltenes volles Glas Holyhead erinnerte. Das war natürlich eine sehr gewollte Interpretation, aber die beiden Männer waren sich darin einig. Man hielt das Glas in die Höhe und sagte: »Erstaunlich, nicht wahr?«
    Der Tag, an dem Olander und Grong sich dann doch näher kamen, gezwungenermaßen, war nun in keiner Weise einer, der den Blick auf das Holyhead-Rot des Mariensees ermöglichte. Unter einer dicken, tief hängenden, dicht gedrängten Staffel von Wolken lag der See so schwarz da, wie etwas nur schwarz sein konnte. Olander saß auf einem Felsen und fror sich den Hintern ab. Am gegenüberliegenden Ufer erblickte er ein paar Leute mit paarigen Stöcken. Sie sahen aus wie Schifahrer ohne Schnee, also ein bißchen sinnlos. Wahrscheinlich handelte es sich um Teilnehmer eines Symposiums, die sich hier die Beine vertraten. Olander kannte das Innere des Kubus, er kannte den Mann, der Götz war. Im Grunde kannte Olander jedermann in Hiltroff, er hatte sich jedermann vorgestellt, niemals aufdringlich, sondern einfach auf seine Anwesenheit hindeutend. Als wollte er sagen: Schaut her, da steh ich. Verfügt über mich. Darum bin ich doch gekommen. – Aber die Leute im Ort, und auch Herr Götz, fragten sich nur, ob dieser Olander verrückt war. Nicht richtig verrückt, aber doch ein wenig psychotisch. Niemand wollte über Olander verfügen, niemand hatte ihm etwas zu mitzuteilen. Das einzige, was die Hiltroffer interessierte, war die Frage, ob Olander seinen BMW verkaufen würde, wo er doch so selten damit fuhr. Anders gesagt, man hoffte, daß Olander bald das Geld ausging und er gezwungen war, sich von diesem Wunderwagen zu trennen.
    Olander erhob sich. Die Leute mit den Stöcken waren verschwunden. Er war jetzt allein. Er beschloß, wie er das immer tat, wenn er hier heraufkam, den See einmal zu umrunden und dann in die Ortschaft zurückzukehren. Einen richtigen Pfad gab es nicht, ein richtiger Pfad hatte sich auf dem Kalkstein nicht gebildet, nur ein ungefährer. Und auf diesem ungefähren bewegte sich Olander dahin, ein klein wenig hinkend. Sein Hinken war kaum zu bemerken, aber es existierte. Es stammte von einer Muskelverletzung des rechten Beins, welche er sich vor vier Jahren zugezogen hatte. Damals in Italien, als er in einem Unfallwagen eingeklemmt gewesen war und mittels Schneidbrennern aus den stark verbogenen Teilen eines Vordersitzes hatte herausgeholt werden müssen. Der Schmerz im Bein erinnerte ihn ständig an diesen Tag. Aber noch viel mehr ein ganz anderer Schmerz.
    Der ungefähre Weg um den Mariensee führte an einigen Stellen über kurze, aber steile Felswände, weshalb Olander klettern mußte. Dabei geschah es nun, daß er seinen rechten Fuß in eine Kerbe fügte, wo keine Kerbe war, nur glatte Fläche. Es war wie bei diesen Autofahrern, die behaupten, eine Strecke auswendig zu kennen, und dann mit hundert Sachen in eine Kurve fahren, wo keine ist. Olander rechtes Bein, sein Unfallbein, spielte ihm immer wieder solche Streiche. Das Bein war sein Feind. Jedenfalls rutschte Olander weg, verlor den Halt und schlitterte abwärts. Praktisch als Ersatz für die Kerbe, die da gar nicht gewesen war, öffnete sich eine Spalte im Fels, die Olander zuvor übersehen hatte. Eine von den zahlreichen Öffnungen, in die der häufige Regen abströmte. Nur, daß diese eine Spalte groß genug war, einen Mann zu verschlucken. Und das tat sie auch, die Spalte. Olander glitt ungebremst über den blanken Rand und fiel in einen röhrenförmigen Hohlraum. Ohne aufzuschreien, viel zu verblüfft, stürzte er gute zwei Meter abwärts, wobei der Aufprall anders ausfiel als erwartet und befürchtet. Kein harter Stein, sondern weiches Wasser, in das er
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