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Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz

Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz

Titel: Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz
Autoren: Heinrich Steinfest
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der Schlag erfolgt, sieht man eine explosionsartig ausgefranste Form, einen platzenden Ballon, und darin die lautmalerische Buchstabenfolge POW!, in dickem Rot, schwarz umrandet. Am oberen linken Bildrand, eingefügt in eine Sprechblase, ist die Empfehlung des Zuschlagenden an sein Opfer zu lesen: SWEET DREAMS, BABY!
    Job Grong hätte nicht sagen können, warum er ausgerechnet dieses Bild erstanden hatte, damals vor vierzig Jahren. Er war ja weder ein Anhänger dieser speziellen Kunstrichtung noch dieses Künstlers gewesen. Auch kein ausgesprochener Comic-Fan. Aber es war 1965 wohl an der Zeit gewesen – für einen Dreißigjährigen an der Zeit gewesen –, sich ein Kunstwerk fürs Leben anzuschaffen. Und ewig hatte Job Grong nicht warten wollen. Wie er ja auch nicht ewig gewartet hatte, eine Frau fürs Leben auszuerwählen. Die Frau und das Bild waren ein Kompromiß gewesen, ein guter Kompromiß. Grong hatte darauf verzichtet, auf ein Wunder zu hoffen, also auf das Bild aller Bilder und die Frau aller Frauen. Ohne aber ins andere Extrem zu fallen und sich mit etwas Schlechtem zu begnügen. Das galt für die Roy-Lichtenstein-Graphik genauso wie für Lisbeth. Alle beide, die Frau wie der Gegenstand, bewegten sich in einer goldenen Mitte. Mehr als dieses Bild und diese Frau hatte Job Grong vom Leben nicht verlangen dürfen. Und mehr verlangte er auch nicht.
    Im Grunde hatte sich Vinzent Olander in diese bescheidene Perfektion eingefügt, indem er seit drei Jahren als der Gast im Leben des Wirts Grong fungierte, Tag für Tag zwei mal vier Gläser bestellend. Die Liebe zum Portwein und zu der süßlichen, leicht cremigen Variante des Fernet Branca, dem Menta, diese Liebe hatte Olander bereits mitgebracht. Aus seinem alten, verborgenen Leben mitgebracht. Neu hingegen war für ihn der Zauber des Quittenschnapses, vor allem aber der Zauber eines Whiskys, der von einer mysteriösen Destille auf Holy Island stammte, einer Insel vor der Westküste von Anglesey in Wales. Mysteriös, weil besagte Brennerei nicht wirklich zu existieren schien, sehr wohl aber die einfach gestalteten, farblosen Flaschen mit dem Namen THE HOLYHEAD, in denen ein zwölf Jahre alter Single Malt eingeschlossen war. Er besaß eine ausgesprochen dunkle Farbe, ein wenig rötlich, wie von eingelegten Kirschen. Um jetzt nicht von etwas anderem Eingelegten zu sprechen. Aber das Zeug schmeckte ganz hervorragend, gar nicht kirschig, sondern ausgesprochen unterirdisch, eingedenk von Wasser, das nur widerwillig an die Oberfläche tritt. Wasser, das sich vor der Sonne scheut, vor dem Verdunstetwerden. Jedenfalls konnte auch Job Grong nicht sagen, was es mit diesem Getränk genau auf sich hatte, woher es wirklich stammte, wenn eben nicht von der Holyhead Distillery, wie das Etikett vorgab. Er selbst bestellte die Flaschen bei einem Händler, der sie bei einem anderen Händler bestellte…und weiß Gott noch wie viele Händler sich daranreihten. Die Europäische Union war ein wirklich hübsches Labyrinth geworden, in welchem die Leute nur winzige Strecken hinauf- und hinunterliefen, gleichzeitig aber behaupteten, jederzeit in der Lage zu sein, den Ausgang zu finden. Dabei kannten sie nicht einmal die Herkunft einer bestimmten Flasche Whisky.
    Vinzent Olander hatte also zu Anfang recht unkoordiniert Portwein und Branca Menta geordert und konsumiert, bis Grong nach der zweiten oder dritten Woche sich erlaubt hatte– und zwar nur aus Anlaß einer Lieferung seines Spirituosenhändlers –, einen schwäbischen Quittenschnaps und jenen walisischen Single Malt zur Kostprobe an seinen neuen Stammgast auszugeben. Geschmacklich stand dies eigentlich im deutlichen Gegensatz zu Olanders Leibgetränken. Aber wenigstens in dieser Hinsicht schien Olanders blasser Picabia-Kopf rund genug, um die Denkrichtung zu wechseln, somit den Abend in zwei Hälften zu unterteilen und von dunkler Süße zu süddeutscher Rustikalität sowie der öligen Strenge lichtscheuen Wassers zu wechseln. Und dabei blieb es. Die neu gewordene Ordnung, nicht zuletzt die Regel von vier mal zwei Gläsern, gefiel Olander.
    Äußerst bezeichnend für dieses Ritual war es, daß bei aller Selbstverständlichkeit und stillen Würde, mit welcher Wirt und Gast einander begegneten, Grong es niemals unternahm, Olander eins dieser acht Gläser ungefragt auf den Tisch zu stellen. Nein, es erfolgte jedes Mal eine ausdrückliche Bestellung durch den Gast, die der Wirt mit einem kleinen Nicken quittierte, und erst
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