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Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz

Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz

Titel: Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz
Autoren: Heinrich Steinfest
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gekommen war. Er hatte einen etwas vernachlässigten Eindruck gemacht, Bartstoppeln, angegraute Haut, Augen aus mattem Glas, das Haar fettig, der Anzug verdrückt, dazu einen Wagen, auf dem der Matsch verschiedener Länder klebte. Doch genau dieser verdreckte Wagen hatte einige Aufmerksamkeit auf sich gezogen und die Annahme genährt, daß es sich bei Olander um keinen ganz armen Mann handeln konnte. Daß er zumindest einmal bessere Zeiten gesehen haben mußte. Es war schließlich keine Kleinigkeit, einen legendären BMW M1 zu besitzen, einen Wagen, der sich zunächst einmal dadurch auszeichnete, nicht wie ein BMW auszusehen, eher wie ein Lamborghini, und tatsächlich waren die Italiener an der Konstruktion beteiligt gewesen. Das 1978 produzierte Modell besaß die Farbe von Vanillecreme – oder von zu lange stehengelassenem Joghurt, ganz wie man es sehen wollte. Die Form war flach und eckig, aber auch nicht zu flach und zu eckig. Im Inneren saß man wie in einer ewigen Nacht, so schwarz war es darin. Wenn die ausklappbaren Scheinwerfer hochgingen, war alles gut, weil man dann wußte, daß Prinzen sich auch in sympathischere Dinge als glitschige Frösche verwandeln konnten. Und wäre da nicht der für einen BMW typische Kühlergrill gewesen – gleich viel zu eng stehenden Nasenlöchern –, es wäre ein richtig schönes Auto gewesen.
    Obgleich es sich hier um die kraftstrotzende Straßenversion eines Rennsportwagens handelte, vermittelte dieser Zweisitzer auch eine gewisse Gelassenheit, in der Art eines Tiers, das gelegentlich auf Jagd geht, aber dennoch die Vorteile eines Allesfressers auf sich vereint. Ein Allesfresser weiß um den Nutzen einer saftigen Wiese, die nicht davonlaufen kann. Pure Jäger hingegen sind bei aller Popularität traurige Gestalten, beschränkt. Anders gesagt, mit diesem Wagen konnte man auch langsam fahren oder gar stillstehen, ohne deshalb lächerlich zu wirken. Selbiger BMW war einzig und allein darum traurig zu nennen, weil sein Besitzer sich nicht die Mühe machte, ihn endlich einmal reinigen zu lassen.
    Der solcherart gegen seinen Wagen rücksichtslose Vinzent Olander quartierte sich im Hotel der Grongs ein, streifte umher, machte aber nicht wirklich den Eindruck, an einheimischen Flechten oder ähnlichem interessiert zu sein. Es war nicht so, als suche er etwas, eher schien er selbst der Gesuchte zu sein. Ein Gesuchter, der gefunden werden wollte. Er bewegte sich weniger, als daß er herumstand, offenkundig herumstand, sich auf den Plätzen der Ortschaft und der Umgebung präsentierend. Hätte jemand zu dieser Zeit vorgehabt, aus dem Hinterhalt heraus eine beliebige Person zu erschießen, dann wäre niemand so leicht zu treffen gewesen wie Vinzent Olander. Einige Wochen lang schien er nichts anderes darzustellen als eine Zielscheibe. Eine Zielscheibe aus freien Stücken.
    Nach und nach aber dürfte ihn diese Zielscheibenexistenz erschöpft haben, und er kam immer öfter ins POW!, wo er sich an ein auf die Straße weisendes Fenster setzte, Portwein bestellte und Zigarillos inhalierte, als handle es sich um eine Medizin, die nur bei andauernder Einnahme ihre volle Wirkung entfaltete. Und so war es ja wohl auch. Die Leute, die vom Rauchen krank werden, werden es von den Rauchpausen oder vom ständigen Aufhören und wieder Anfangen. Sie verwirren ihren Körper zu Tode.
    Selbst jetzt noch, da Olander viel Zeit in Herrn Grongs Kneipe verbrachte, hatte man das Gefühl, er stelle sich zur Schau, plaziere sich so, daß jeder Vorbeigehende ihn durch das Fenster sehen konnte. Offensichtlich war er es bloß müde geworden, sich im Freien darzubieten, im Naßkalten und Nebeligen. Überhaupt war dieser Mann schwer von Müdigkeit gezeichnet. Er wirkte im wahrsten Sinne geknickt, als hätte er einen Schlag in den Magen erhalten und sei nie wieder aus der vom Nabel aufwärts vorgebeugten Haltung herausgekommen. Darum auch schien er kleiner, als er war. Im Grunde sah er ja gut aus, männlich, ein geschnitzter, ein geschälter Typ, kantig, aber nicht grob, holzig, elegant holzig, oder, wenn man so will, kartoffelig, elegant kartoffelig, mit weißblondem Haar und Geheimratsecken, die immer ein wenig feucht glänzten, aber als einzige Stelle über etwas Farbe verfügten, leicht angebrannt, als habe soeben der Sommer begonnen. Olander erinnerte an den Maler Francis Picabia, allerdings in einer blassen Ausgabe. Picabia war es gewesen, der gesagt hatte, der Kopf sei rund, damit das Denken die Richtung
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