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Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz

Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz

Titel: Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz
Autoren: Heinrich Steinfest
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tief eintauchte, nicht aber dessen Grund erreichte. Einen Moment trat Olander auf der bodenlosen Stelle, dann strampelte er nach oben. Als er auftauchte und den Kopf zurückwarf, sah er bloß die Öffnung über sich, in der das trübe Licht dieses Nachmittags eingefaßt war. Viel zu hoch, als daß er die Chance gehabt hätte, hinaufzugelangen.
    Es dauerte eine Weile, bis sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten und er die nahen Wände vage erkannte. Wände ohne Vorsprünge, glattgewaschen, keine Möglichkeit, sich irgendwo festzuhalten und diesem Gefängnis im Stil einer insektenschluckenden Kannenpflanze zu entfliehen. Immerhin war das Wasser nicht ganz so kalt, wie man es hätte erwarten dürfen, wenn man um die Kälte des Mariensees wußte. Aber richtig warm war es auch wieder nicht.
    Olander bemühte sich gar nicht erst zu schreien. Wer sollte ihn hier unten hören? Natürlich konnte der Zufall es gut mit ihm meinen und einen Wanderer vorbeischicken. Aber wie lange würde sich dieser Zufall denn Zeit lassen? Wie lange würde Olander schreien müssen? Eine Stunde? Zwei Stunden? Nun, vorher würde ihn die Kraft verlassen. Nein, er wollte nicht schreien, nicht auf gut Glück. Bloß weil ihm nichts Besseres einfiel. Er war allein und würde absaufen. Er stellte sich vor, daß dies die Strafe war, die ihm zustand. Die Strafe für sein Versagen, die Strafe dafür, etwas nur halb richtig getan zu haben.
    Halb richtig war das Schlimmste. Halb richtig, das war, wie wenn man jemand das passende Medikament in einer tödlichen Dosis verabreichte. Und genau so etwas hatte Olander getan – fand er. Und fand darum, daß alles hier seine Richtigkeit hatte. In einem mit Wasser gefüllten dunklen Loch zu schwimmen, in einem von der Natur geformten Plumpsklo. Und es versteht sich, daß er, Olander, das Stück Scheiße war, das in dieser Latrine trieb und irgendwann untergehen würde.
    Aber so einfach, wie er sich das vorstellte, lief es nicht ab. Sich simplerweise als Kot denken und dadurch aus der Verantwortung nehmen. Bloß noch sterben, als wäre man bereits auf der letzten Seite eines Romans angekommen, wo dann in Gottes Namen sterben durfte, wer wollte. Nein, das war nicht die letzte Seite. Das war nicht das Echo auf einen schlechten Anfang.
    Olander dachte an Clara. Natürlich dachte er an sie, an sein kleines Mädchen, sein Kind, sein Alles. Darum war er hier, wegen Clara, um sie zu finden. Also konnte er sich nicht einfach gehenlassen und in einem gewässerten Loch krepieren. Absolut nein! Olander schlug mit der Faust auf die Wasseroberfläche, was sich anfühlte, als breche er durch einen Glastisch. Auf diese Weise schüttelte er die aufkeimende Bewußtlosigkeit ab, schwamm an den Rand und fuhr mit seiner Hand über die vom Regenwasser polierte Fläche. Auch mit den Beinen suchte er die Wand ab, suchte nach einer Stelle, die sich eignete…und fand sie endlich auch, fand einen Spalt, der sich knapp unterhalb der Wasserscheide abwärts zog. Der Spalt war gerade so breit, daß Olander seinen kräftigeren, seinen linken Fuß mitsamt dem Unterbein einklemmen konnte. Dies ermöglichte ihm, sich mit sparsamster Bewegung der Arme über Wasser zu halten.
    Das Absurde daran war nun, daß er sein zunächst schmerzendes, bald aber so gut wie gefühlloses Bein dermaßen energisch in den Fels hineingedrückt hatte, daß er nicht wieder herauskam. Was er vorerst gar nicht bemerkte, zu perfekt war diese Verankerung, ja, die Erschöpfung trieb ihn sogar in den Schlaf, ohne daß er dabei unterging. Vinzent Olander funktionierte wie ein Regal, das von dieser Höhlenwand abstand. Aber das Dumme an fix montierten Regalen ist natürlich ihre Immobilität. Denn das Wasser stieg. Ganz klar, Wasser pflegen in solchen Situationen immer zu steigen. Davon erwachte Olander, vom steigenden Wasser, das in Bewegung geraten war und über sein Gesicht schwappte. Und nun bemerkte er auch, daß er mit seinem Bein nicht loskam, nicht zuletzt, da ihm die Kraft fehlte, sich mit dem anderen, freien Fuß wirkungsvoll abzustoßen. Wie sehr Olander sich auch bemühte, er blieb gefangen, steckte im Stein fest.
    Er hatte sich soweit als möglich, das Knie durchdrückend, in eine aufrechte Position befördert. Dennoch erreichte das Wasser bald seine Brust. Woher es eigentlich kam, konnte Olander nicht sagen. Es hätte es so oder so nicht stoppen können. Und weil er nun gar nicht mehr wußte, was zu tun war, und sein Körper deutlich nachgab, begann er
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