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Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz

Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz

Titel: Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz
Autoren: Heinrich Steinfest
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Denn es kann nicht einfach ein Leben gerettet werden, und danach bleibt alles beim alten. Eine Lebensrettung ist auch irgendwie peinlich, in einer ungehörigen Weise intim, in der Regel eben auch viel zu körperlich. Als betaste man jemandes Po. Und entschuldige sich hinterher mit dem Argument, eine Fliege verjagt zu haben. Gewissermaßen die Fliege des Todes. Aber berührt ist nun mal berührt. Olander und Grong waren sich auf eine Art nahe gekommen, wie es beide gerne vermieden hätten. Andererseits war es nur normal gewesen, daß Herr Grong an diesem Nachmittag, da sein Stammgast Olander in einen gefluteten Hohlraum gestürzt war, sich über dessen Ausbleiben gewundert hatte. In drei Jahren war Olander niemals nach vier Uhr im POW! aufgetaucht, kein einziges Mal. Und weil Grong ja selbst ein Mann der Ordnung und der Prinzipien war, konnte er sich nur ein grobes Problem vorstellen, das seinen Stammgast davon abhielt, pünktlich zu sein. Also schloß Grong das ohnehin leere Lokal und setzte sich in sein Auto, um ins Zentrum der Ortschaft zu fahren und nach Olander zu fragen. Glücklicherweise hatte einer von den Alten, die bei jedem Wetter auf den Parkbänken vor dem Kriegerdenkmal saßen und Schachfiguren von der Art versteinerter Putzfrauen und sich totstellender Zwerge über den Platz schoben, gesehen, wie »der Mann, dem der BMW gehört« hinauf zum See marschiert war. Vielleicht auch zum Götz , jedenfalls den einzigen Fußweg gegangen war, der von der Mitte des Ortes bergauf führte.
    Und so war Job Grong an den Mariensee gelangt, hatte jenen ungefähren Weg um das opale schwarze Gewässer genommen und schließlich die Schreie seines Stammgastes vernommen. Um rasch zu der Spalte abzusteigen und mit einem Blick in das Loch festzustellen, daß es auf Sekunden ankam. Keine Zeit, die Feuerwehr zu rufen oder ein Seil herbeizuschaffen. Also legte er sein Handy auf die Seite und sprang. Durchaus im Bewußtsein, daß auf diese Weise die ideale Beziehung zwischen ihm und seinem Gast ein Ende haben würde. – Das ist kein Witz, er dachte das wirklich, als er sich abstieß und in das Dunkel dieses felsigen Gefäßes eindrang. Er dachte: »Wie schade!« Und dachte, daß man aber darum einen Menschen nicht ersaufen lassen konnte.
    Und so kam es, daß Tage später Vinzent Olander den Wirt Grong bat, sich doch bitte zu ihm ans Fenster zu setzen. Er wolle ihm etwas erzählen.
    »Wenn es sein muß«, sagte Grong. Es war nicht unfreundlich gemeint, sondern resignierend. Die Symbiose war dahin. Denn wenn einer einem anderen eine Geschichte erzählte, diese Geschichte praktisch auf seinem Gegenüber ablud, war dies eine einseitige Belastung für den, der zuhören mußte. Und einseitige Belastungen sind natürlich der Tod jeder Symbiose.
    »Sie werden sich fragen«, eröffnete Olander, »wieso ich seit drei Jahren an diesem Ort hier ausharre.«
    »Ich harre schon viel länger aus«, entgegnete Grong.
    »Sie sind aber freiwillig hier.«
    »Sie nicht?«
    »Nein«, erklärte Olander und berichtete, wie alles begonnen hatte.
    Wie es begonnen hatte, sein Unglück.

2
    Vor jedem Unglück steht natürlich ein Glück, sonst ergäbe sich in der Folge ja kein Unglück. Dauerndes Pech ist etwas anderes. Dauerndes Pech ist eine Laune der Natur, die ohne Hintergrund auskommt, ohne Zweck bleibt. Unglück aber, also der Antikörper des Glücks, ist höchstwahrscheinlich eine übernatürliche Regung. Eine mutwillige Reaktion. Etwas in der Art eines göttlichen Beweises, nur daß solche Beweise von Theologen ungern zur Kenntnis genommen werden. Sie angeln lieber in fischlosen Teichen, gewissermaßen in Marienseen der Glaubenslehre, als sich den Gefahren der großen Meere auszuliefern.
    Das trügerische Glück des Vinzent Olander hatte traditionellerweise darin bestanden, eine Frau kennengelernt zu haben. Nicht sehr originell. Aber es handelte sich um eine wirklich tolle Frau, wie es allgemein hieß, eine sehr viel jüngere, ausgesprochen hübsche Person, deren Jugend und Schönheit auf Grund einer gewissen engelsgleichen Ausstrahlung niemand, schon gar nicht Olander, mit einem trügerischen, sondern nur mit einem absoluten Glück in Verbindung brachte. Anfangs.
    Komischerweise fürchten sich Männer eher vor schlangenhaften Wesen als vor engelsgleichen. So sehr sie etwa Netzstrümpfe mögen, würden sie einer Frau mit Netzstrümpfen niemals trauen. Dabei kann man Frauen mit Netzstrümpfen damit gleichsetzen, daß jemand für alle sichtbar eine
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