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Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz

Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz

Titel: Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz
Autoren: Heinrich Steinfest
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Fläche kunststoffartig, beinahe transparent, wie gewässerte Milch. Milch für Katzen und Igel, damit sie keinen Durchfall bekamen. So sah es aus. Aber wie gesagt, der Backstein war lückenlos. Nur die eine Seite, die in eine kleine Schlucht hinunterwies, an deren Rand der Kubus aufragte wie ein strammstehender Junge auf einem Sprungbrett, verfügte über eine durchgehende, getönte Glasfront, deren Farbe mit den Lichtverhältnissen wechselte, ganz in der Art einer modernen Sonnenbrille. Im Inneren waren drei Etagen untergebracht, die maximal fünfzig Leuten großzügig Raum boten. Es waren schon ausgesprochen elitäre Veranstaltungen, die hier stattfanden, keine von den Apothekerkongressen. Eher… Die Hiltroffer Bürger vermuteten Physikalisches, Experimentalphysikalisches, Mathematisches, also Religiöses. Allerdings wurde im Dorf selten wirklich bekannt, welche Themen im Kubus jeweils für ein Wochenende oder eine Woche behandelt wurden. Unter den Einheimischen sprach man vom Kubus immer nur als vom Götz , denn der Mann, der diese »Hütte für gescheite Leute« hatte errichten lassen, war ein Sohn des Ortes. Und sein Vorname war eben Götz. Er hatte lange Zeit im Ausland zugebracht, ohne daß darüber viel durchgedrungen wäre. Dann war er vierzigjährig zurückgekehrt, hatte das Haus seiner verstorbenen Eltern bezogen und alsbald den Kubus errichten lassen. Wie er zu einer Baugenehmigung an solch exponierter Stelle gekommen war, blieb ein Rätsel. Aber Rätsel waren nun mal ein fester Bestandteil der Ortsgeschichte. Und man kann ja sagen, einer jeden Ortsgeschichte. Um so kleiner ein Ort, um so größer seine Rätselanfälligkeit. In den Metropolen aber löst sich das Rätsel auf, es fehlt ihm die Basis, der Humus, es fehlt ihm die Lust.
    Neben den Leuten, die im Götz einquartiert waren und dort einen hochintimen Meinungsaustausch pflegten, gab es natürlich auch die Gruppe diverser Naturfreunde, die nach Hiltroff kamen, teils einer endemischen Flechte wegen, teils um von hier aus Wanderungen über die von Trichtern und Höhlen durchlöcherte Karstlandschaft zu unternehmen. Die eigentliche Attraktion aber blieb der Mariensee, der auf Grund seiner Farbe auch als Schwarzsee, Schwarze Maria oder Mariaschwarz bezeichnet wurde. Seine Fläche hatte die Form zweier sich überschneidender Ellipsen in der Größe von Fußballfeldern. Aus der Höhe sah es nach Mengenlehre aus.
    Im See zu schwimmen oder zu tauchen war verboten. Aus Gründen des Naturschutzes. Woran sich sogar die Dorfjugend hielt. Das Wasser erschien ihnen wohl zu schwarz. Es war ein See zum Anschauen, nicht zum Angreifen.
    Leider – leider für das Hotel Hiltroff und das POW! – hatte der Mann, der den Namen Götz trug, auch das alte Rathaus gekauft und es in ein Hotel umbauen lassen. Ein komfortables Hotel mit einem kleinen, aber sehr edlen Restaurant, in welchem ein pensionierter Haubenkoch sein Alterswerk vollbrachte und noch so manchen Gourmet nach Hiltroff lockte. Hotel und Restaurant trugen den einheimischen Namen des örtlichen Sees: Mariaschwarz. Die Zimmer waren so gut wie immer ausgebucht, und um im Restaurant einen Tisch zu ergattern, mußte man lange vorbestellen oder mit dem Mann, der sich von allen nur mit »Herr Götz« ansprechen ließ, befreundet sein. Dabei trat Herr Götz nicht etwa wie ein Machtmensch auf. Zumindest nicht in der polternden oder arroganten Weise. Auch nicht geschleckt, wie man das sonst von Hotels kannte. Er gab sich nicht einmal volkstümlich. Nein, seine Haltung war eine sachliche. Er behandelte jedermann mit einer schlichten Freundlichkeit und schien in erster Linie Erfüllung darin zu finden, seinen Weinkeller zu pflegen. Es hieß, er sei in Berlin verheiratet. Was sich anhörte, als verdächtige man Herrn Götz einer bizarren Schweinerei. Welche man ihm aber gerne nachsah, weil er die mit Abstand höchsten Abgaben im Ort bezahlte.
    Dem Erfolg von Hotel und Restaurant Mariaschwarz stand der Mißerfolg des Hotel Hiltroff und des POW! gegenüber, wobei niemals eine echte Konkurrenz bestanden hatte. Das Faktum von Erfolg und Mißerfolg wurde von beiden Seiten wie etwas Naturgegebenes hingenommen. Nicht, daß man miteinander verkehrte, aber keiner der Betreiber oder auch nur deren Mitarbeiter hatte sich je zu einem häßlichen oder abfälligen Wort gegen die andere Seite hinreißen lassen.
    Das Hotel Hiltroff und seine Bar gehörten einem Ehepaar namens Grong, Job und Lisbeth Grong. Zwei ungemein beherrschte
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