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Die Spinne - Niederrhein-Krimi

Die Spinne - Niederrhein-Krimi

Titel: Die Spinne - Niederrhein-Krimi
Autoren: emons Verlag
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Prolog
    Wer vom Ostwall aus die weitläufige Parkanlage vor der Xantener Stadtmauer regelmäßig überblickte, wusste, dass sie am Samstag zwischen elf und zwölf Uhr vorbeikommen würde. Weil es immer so war, seit Jahren. Carola Mertesacker gehörte zu den Walkerinnen, die stets zur gleichen Zeit ihre Bahn zogen. Man konnte sogar vorhersehen, welche Kleidung sie bei unterschiedlichen Wetterverhältnissen anziehen würde. Regelmäßig blickte sie auf die Turmuhr des Doms, suchte während des Laufens in den Fenstern der Wallhäuser nach einem Gesicht, jemandem, der die Woche ebenso gut und beharrlich wie sie eingeteilt hatte. Eines Tages würde wer hinausschauen, ihre Blicke würden sich begegnen, mehr nicht. Ein stummer Gruß auf dem Weg.
    Quer durch den Xantener Stadtpark walkte Carola an jedem Samstagmorgen, kreuzte den Nibelungenkreisel, erfreute sich an dem gewaltigen Granittor und dem Lavendelteppich, der das Rondell des Kreisverkehrs zierte. Im Sommer duftete es von Weitem. Die grau behauchten, zarten Blätter, die violetten Blütenstände passten zu den beiden lebendigen, ungleichmäßig bearbeiteten Steinblöcken, aus denen ein beeindruckendes Tor entstanden war.
    Auch an diesem Sommertag ging Carola Mertesacker zielstrebig, nahm dabei die Ausstellungsobjekte wahr, die seit Wochen den nördlichen Teil des Parks bereichert hatten. Wochenlang war ihr diese Aktion Xantener Künstler auf dem Weg zur Südsee, die sie umkreisen wollte, wie ein Sahnebonbon erschienen. Nun war es geschehen, ein Teil der Werke war verschwunden, anderen sah man von Weitem ungestüme Zerstörung an. Wie schade, ging es ihr durch den Kopf, dann bemerkte sie den Pulk von Menschen am Kreisverkehr. Aufgeregte Männer und Frauen wiesen zu dem Granittor, lamentierten kopfschüttelnd, schmunzelten oder blickten stumm in die Höhe. Der Blick auf das Tor blieb der Walkerin durch die Kronen der Parkbäume verwehrt, sie wurde neugierig und erhöhte ihr Tempo.
    Ein Polizeiwagen parkte am Straßenrand, zwei Beamte versuchten, die Fahrbahn für den Verkehr frei zu halten. Ein gelber Kombi drehte gerade eine zweite Runde in dem Kreisel und erntete ernste Blicke der Uniformierten. Die örtliche Presse war vertreten, den Fotografen schien die Situation zu amüsieren, er hielt sein Objektiv abwechselnd auf das Tor und die Menschenschar gerichtet. Rechts von ihr sah Carola, wie vom anliegenden Parkplatz ein dreiköpfiges Kamerateam vom WDR in Richtung Kreisverkehr hastete. Ein Unfall? Nein, zu gemischt war die Stimmung, kein Blaulicht, kein Rettungswagen in Sicht, etwas anderes schien die immer dichter werdende Menschentraube mit ihren widersprüchlichen Gefühlen zu beschäftigen. Touristen zückten ihre Kameras und knipsten, was das Zeug hielt.
    In Höhe der Tankstelle auf der gegenüberliegenden Straßenseite erkannte sie den Bürgermeister der Stadt, lebhaft mit drei Männern diskutierend, immer wieder auf den Kreisel und das steinerne Monument deutend. Der Bürgermeister lächelte, während er sprach. Der hat sein unverbindliches Lächeln aufgelegt, mit dem er sonst vor dem Rat eine Rede über notwendige Haushaltskürzungen hält, dachte Carola beim Näherkommen, aber er ist es nicht, den die Leute fotografieren.
    Erst an Ort und Stelle, knapp vor dem Kreuzen der Straße, konnte sie erkennen, was die Gemüter an diesem sonnigen Samstag im August so erhitzte, und brach unvermittelt in schallendes Gelächter aus. Somit gesellte sie sich unbewusst zu der kleinen Gruppe derer, für die der humorvolle Aspekt dieser Aktion im Vordergrund stand.
    Es ging nicht anders, der Anblick erinnerte sie an die ersten Versuche zu Zeiten des Schwarz-Weiß-Films, mit primitiven Mitteln einen Horrorfilm zu drehen. Die erwünschten Schreck- und Ekeleffekte kitzelten die Lachmuskeln, statt Grusel zu erzeugen: In stattlichen fünf Metern über dem Erdboden befand sich eines der verschwundenen Kunstobjekte aus dem Park und glotzte auf die Menge herab. Die Riesenspinne schien vom Granittor aus in die Stadt marschieren zu wollen und blickte mit weit aufgerissenen Augen auf ihr Publikum herab. Wie war das metallene Kunstwerk dort nur hinaufgekommen?
    Nach der anfänglichen Irritation zog Carola weiter, denn das Laufen war ihr Anliegen, Entspannung ihr Ziel, behielt jedoch das Ungetüm aus einer mit Teichfolie umspannten Tonne, dessen dicke Drahtfüße auf dem Granit auflagen, lächelnd im Auge. Sie passierte den Bürgermeister, der gerade einem Vertreter des regionalen
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