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Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz

Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz

Titel: Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz
Autoren: Heinrich Steinfest
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Leute. Daß sie über Emotionen verfügten, blieb der Phantasie ihrer Gesprächspartner überlassen. Auch ihr Alter war unklar, da sie nie ihre Geburtstage feierten. Zumindest nicht mit Freunden oder Bekannten. Sie gingen wohl beide auf die Siebzig zu, arbeitende Pensionäre, gut in Schuß, schlank, großgewachsen, jedoch nicht riesig. Sie lächelten zu keiner Zeit, waren aber zuvorkommende Menschen, wobei sie selten jemand die Hand reichten, sondern durch eine angedeutete Verbeugung oder ein Nicken und einen klar ausgesprochenen Gruß eine höfliche Distanz schufen. Einen warmen Block zwischen sich und die anderen stellten. Warm, aber massiv. Die Grongs vermieden Mißverständnisse. Wenn nötig, konnten sie auch deutlich werden. Deutlich und scharf. Doch der Schärfe fehlte das übliche Zittern. Fehlte die Nervosität, der Anschein von Bluthochdruck. Die Schärfe erfolgte in der Weise, wie man ein Radio lauter stellt, damit auch wirklich alle die Nachrichten hören können.
    Frau Grong kümmerte sich um das Hotel und die wenigen Gäste, Herr Grong um die Kneipe und die nicht minder wenigen Gäste. Und so kam es, daß sich beide Grongs um einen gewissen Vinzent Olander kümmerten, welcher seit drei Jahren im Hotel lebte und seit ebenso vielen Jahren als Stammgast das von Herrn Grong geführte Lokal besuchte. Gleich morgens, um dort seinen Kaffee zu trinken. Vormittags nahm er nie mehr zu sich, als die zwei Tassen leicht gesüßten Espressos. Man sah ihn aber auch den Rest des Tages nichts essen, ohne daß er darum einen abgemagerten Eindruck machte. Er war wohl eher ein Mann, der einfach aufs Essen vergaß. Und in dieser Hinsicht unverwundbar geworden war. Zumindest schrumpfte er nicht.
    Mittags begab er sich häufig in ein kleines Bistro am Hauptplatz, um dort ein, zwei Gläser eines billigen Rotweins zu konsumieren, am Fenster zu stehen oder an einem der Tische im Freien zu sitzen. Wobei man es im hochgelegenen Hiltroff selten ohne Jacke aushielt. Irgendein Regen oder kühler Wind oder parasitär in alles und jeden schlüpfender und kriechender Nebel herrschte immer vor. Dafür fehlten selbst im Hochsommer die Stechmücken, trotz des Sees in der Nähe. Aber wie gesagt, es schien ein toter See zu sein. Also auch kein See für Mücken.
    Nachmittags dann, ausnahmslos zwischen drei und vier, kehrte Olander ins POW! zurück und verließ das Lokal erst, wenn es Zeit war, sich schlafen zu legen. Denn in dem Zustand, in dem er sich abends jeweils befand, kam etwas anderes als ein rasch eintretender Schlaf gar nicht in Frage. Womit gesagt sein soll, daß Vinzent Olander nie derart betrunken war, daß etwa Übelkeit und Schwindel ihn wieder aus seiner waagrechten Position getrieben hätten, er andererseits aber stets so viel an Alkohol zu sich genommen hatte, um nur noch in sein Bett und in seinen Schlaf zu finden, einen sehr frühen Schlaf, meistens schon vor acht. Und nicht etwa ein Buch zur Hand nahm oder den Fernseher einschaltete. Das war noch nie geschehen und würde auch nicht geschehen. Obgleich Olander Bücher liebte, ja sogar das Fernsehen liebte. Doch der Alkohol stand dazwischen. Der Alkohol war das Nest, in dem Olander es sich gemütlich machte, in dem er sicher war. In dieses Nest paßten keine Bücher und paßte kein Fernsehgerät. In dieses Nest paßte eigentlich gar nichts. Außer natürlich Vinzent. Das Nest war ein Nest für einen Mann.
    Wenn einer dieser berüchtigten Fragesteller aus dem Reich der Feen oder des Journalismus bei Vinzent Olander aufgekreuzt wäre und ihn gefragt hätte, welche drei Dinge er auf eine einsame Insel würde mitnehmen wollen, dann hätte er gesagt: »Vier Dinge!« Und wäre natürlich sofort darauf aufmerksam gemacht worden, daß nun mal nur drei möglich seien. Aber Olander wäre stur geblieben und hätte erklärt: »Entweder vier Dinge oder ich pfeife auf die Insel.« »Also, in Gottes Namen, was für vier Dinge?« Olander hätte geantwortet: »Portwein, Fernet Branca Menta, Quittenschnaps und Whisky von der Insel Holyhead.«
    Das waren die vier Getränke, die er genau in dieser Reihenfolge nachmittags zu sich nahm, je zwei kleine Gläser, selten mehr. Wenn er einmal darüber hinausging, war er hinterher deprimiert, schien enttäuscht von sich selbst. Behielt er jedoch seinen Rhythmus bei, und das war meistens der Fall, so verließ er das POW! als ein in sich ruhender, als ein in seinem Alkoholnest geborgener Mann.
    Drei Jahre war es also her, daß Olander nach Hiltroff
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