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Rheingold

Titel: Rheingold
Autoren: Stephan Grundy
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dort als Gefangene. Wenn du sie gut behandelst, werden die Götter und Geister es dir lohnen, denn sie gehört ihnen, ihnen allein.« Die Stimme des Schamanen wurde zu einem gellenden Schrei, als die Hunnen sich empört auf Gudrun stürzen wollten. »Keiner darf sie anrühren! Tod und Verdammnis dem Mann, der ihr etwas antut! Wagt nicht an dem Wirken der Götter zu zweifeln!«
    Unwillig wichen sie zurück. Gudrun sah, wie viele ihrem Blick auswichen und Schutzzeichen machten.
    »Holt dicke Äste und baut einen Käfig«, befahl Attila, »sie soll nie wieder frei sein.«
    Der Schamane sah Gudrun an. »Bleib, wo du bist, und warte, bis der Käfig fertig ist.« Den Hunnen rief er zu: »Ihr müßt den Tisch und die Bank verbrennen, denn jetzt liegt der Fluch der Toten auf ihnen.«
    Gudrun setzte sich auf die Bank. »Weißt du jetzt, was ein Fluch ist?« fragte sie Attila. »Weißt du jetzt, was töten bedeutet? Ja, denn du weißt, wie Blut schmeckt... das Blut deiner Söhne!« Attila würgte und rannte ins Freie. Sie lachte, als er sich draußen übergab. »Jetzt sollt ihr alle auf die Toten trinken!« rief sie. »Euch alle trifft der Fluch der bösen Tat!«
    Bleich wankte Attila wieder in die Halle und sagte heiser: »Warte bis zum nächsten Sommer, dann wollen wir sehen, ob du noch lachen kannst. Ich rufe meine Sippe aus dem Osten. Wir Hunnen werden nach Worms ziehen und alles niederbrennen.«
    »Kühne Worte!« verhöhnte ihn Gudrun. »Hier in dieser Schlacht habe ich dich nicht wie einen Helden kämpfen sehen, in einer Schlacht, wo selbst ich zum Schwert greifen mußte.« Sie schwieg und dachte, wenn Gunter nicht an den Rhein zurückkehrt, wird man sich dort auf einen Krieg vorbereiten.

10
DIE VISION
    Gudrun zählte die Tage, indem sie mit dem Daumennagel Kerben in die Äste ihres Käfigs ritzte. Sie wußte wegen ihrer Blutungen, daß der Wintermond vorüber war. Nach dem Mondwechsel setzte Dauerfrost ein, aber es schneite nicht. Die Kälte war unerträglich, denn in der Halle wurde es nicht mehr warm. Attilas Knechte konnten noch so viel Holz verbrennen, gegen den eisigen Wind waren sie machtlos. Gudrun wickelte sich in alle Decken, die man ihr gab, und fror noch immer. Sogar der Schamane schlief nicht mehr in seinem Zelt, sondern kam wie alle anderen nachts in die Halle. Gudrun dachte an die Schlangen. Waren sie im Frost erfroren, oder hatte er sie in einer Höhle vergraben, wo sie im nächsten Sommer aus dem Winterschlaf erwachten? Und dann kam die kälteste Nacht in diesem Jahr. Die Männer wollten noch nicht einmal würfeln oder reden, sondern saßen stumm so dicht wie möglich vor den Feuerstellen. Hin und wieder stand einer auf und stopfte Stroh in eine der vielen Spalten, durch die der Wind heulte und pfiff.
    Attila saß allein auf seinem Platz und trank. Plötzlich klopfte es an das Tor. Der Hunnenkönig hob den Kopf wie ein Fuchs, der eine Witterung aufnimmt, und legte kampfbereit die Hand auf den Adlerkopf seiner Schwertscheide. »Sind alle Männer in der Halle?« fragte er leise.
    »Ja«, antwortete der Schamane, »wenn du nicht sicher bist, ob das wirklich ein Gast ist, kann ich das Tor öffnen...«
    »Glaubst du, ich habe Angst?« fragte Attila grollend, stand auf, ging ärgerlich durch die Halle und riß das Tor auf. Aber der heftige Sturm ließ ihn doch erschrocken zurückweichen.
    Vor ihm stand ein großer Mann in einem schwarzem Umhang. Eine Kapuze bedeckte seinen Kopf und fast das ganze Gesicht. Er hielt einen alten Speer in der Hand und zog hinter sich das Tor zu. »Ich danke dir für deine Gastfreundschaft, König Attila«, sagte der Wanderer mit tiefer, weithin hallender Stimme. Gudrun glaubte im ersten Augenblick, Hagens Geist zu sehen, denn der Fremde hatte nur ein Auge. Aber dann hörte sie, daß seine Stimme warm und angenehm klang, ganz anders als die ihres Bruders. »Wer bist du? Und warum bist du in einer solchen Nacht unterwegs?« fragte Attila mißtrauisch.
    »Ich bin ein Sänger und komme vom Rhein. Ich will einen Drichten besuchen, bei dem meine Brüder leben. Ich habe mich verirrt, und ein Ziegenhirte wies mir den Weg zu deiner Halle.«
    »Tritt näher und trink mit uns, wenn du Durst hast. Aber dein Nachtlager ist nicht umsonst. Du mußt für mich und meine Krieger singen.«
    »Das werde ich gern tun.«
    Der Sänger zog ein großes, dunkles Trinkhorn unter dem Mantel hervor und ging mit Attila zum Feuer. Der hunnische Drichten reichte ihm einen Trinkschlauch mit Kumyß. »Wenn du
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