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Rheingold

Titel: Rheingold
Autoren: Stephan Grundy
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Welten in Brand stecken würden. Noch ehe das Grauen sie bis ins Innerste erfaßte, hatte Sleipnir die Geister schon hinter sich gelassen. Der Hengst folgte dem Fluß nach Norden. Im Mondlicht schlugen die Wellen als weiße Gischt gegen die grauen Felsen. Sie heulten und tosten und stiegen in nie ermüdender Wut. Gudrun sah es mit weit aufgerissenen Augen. Plötzlich bewegte sich das graue Gestein. Ein riesiger Wolfskopf hob sich aus den Wellen. Der Wolf war fest an die Felsen gekettet, aber er riß drohend den Rachen auf und schien die leuchtende Halle der Götter verschlingen zu wollen. Gudrun begriff, daß der Wolf sich erst befreien konnte, wenn die Muspilli kamen. Dann würde es zu gewaltigen Schlachten kommen, und wenn Wotan und die Seinen nicht siegten, brach die Götterdämmerung an, und Wotans Todesstunde war gekommen.
    »Siehst du, warum ich meine Krieger brauche«, murmelte der einäugige Gott, »ich rufe sie nach Walhall. Nur die kühnsten und edelsten Helden, die sich in allen Prüfungen und Gefahren bewährt haben, sitzen in meiner Halle. Sie werden in der Schicksalsstunde der neun Welten an meiner Seite kämpfen, um mit den Göttern den Sieg zu erringen. Zu ihnen gehören alle Wälsungen, aber weder die Gebikungen noch die Hunnen. Sie müssen in das Reich der Dunkelheit zurück und bleiben an die Fäden des Schicksals gekettet.« Sie ritten weiter nach Norden. Wotans Speer warf einen langen Schatten, der sie wie ein schmaler dunkler Weg durch die Nacht führte, bis sie ein Hügelgrab erreichten, das hoch über dem Fluß stand. Wotan glitt von Sleipnirs Rücken und ging auf den Grabhügel zu.
    Gudrun sah, wie der Gott mit der Speerspitze einen blauen Feuerkreis um sich zog. Dann stieß er den Speer dreimal auf den Boden. »Erwache, Weida! Erwache aus deinem langen Schlaf, aus deinen Todesträumen. Ich rufe dich, um die Weisheit deiner Worte zu hören!« Ein kleine Tür öffnete sich langsam, und eine alte Frau trat heraus. Lange graue Haare hingen ihr über die Schultern. Das weiße Gewand war befleckt wie von verkrustetem Blut. Das sichelförmige Messer an ihrer Hüfte war schwarz und von Rost zerfressen. Die Frau sprach leise, aber klar. Ihre Worte schienen aus großer Ferne zu kommen. »Wer ruft mich aus meinem Schlaf? Wer zwingt mich, mein Lager in Hels Halle zu verlassen? Mich bedeckt im Winter der Schnee, der Regen singt mir im Sommer sein Lied, der Tau netzt am Morgen meine Lippen, und ich schlafe schon lange.« »Ich, Wotan, rufe dich. Zeige mir, was sein soll!« Wotan hob den Speer, und Gudrun sah, wie die Runen am Schaft rot aufglühten. Der Grabhügel schien plötzlich in grauem Licht zu schimmern. Die Tür nahm eine andere Form an. Gudrun glaubte, unter einer riesigen Baumwurzel zu stehen. Sie sah in einen großen steinernen Ring, der eine weiße Quelle umschloß, die aus der Erde sprudelte, und erkannte in ihr klar und deutlich das ganze Land - Germanien, Gallien, Rom, Britannien und im hohen Norden Gotland und Thule. Schnee lag auf den Wäldern im Norden, im Süden war die Erde grün wie im Sommer.
    Graue Wolken zogen über das Land. Gudrun glaubte geisterhafte Gestalten zu sehen, Gesichter, die sie kannte. Sie verwischten sich, wurden deutlicher und verschwanden. Sie sah die dunklen Augen des Sinwist, aber auch Giselhers Mönch. Costberas goldenes Kreuz funkelte hell, aber da war auch der dunkle Dolch mit dem Falkenkopf, den Brünhild an der Hüfte trug. Gudrun glaubte, die Kirchen von Rom zu sehen. Sie standen inmitten heiliger Haine und waren aus dem alten Holz der Eichen gebaut. In einem langen Zug traten Männer in kostbaren Gewändern mit goldenen und silbernen Stäben in der Hand aus den Toren, und alle Menschen knieten vor ihnen und küßten ihnen die Ringe, während sie das Kreuzzeichen über ihnen schlugen. Tränen stiegen Gudrun bei diesem Anblick in die Augen.
    Gudrun hörte Wotan wie aus weiter Ferne. »Weine nicht, Gudrun, über den Untergang der alten Zeit, denn auf der Erde ist nichts ewig. Sieh dir an, was die neue Zeit bringt, und begreife, daß Veränderung Leben bedeutet.«
    Gudrun wischte die Tränen aus den Augen und blickte in den Brunnen. Das Wasser wurde ruhig und dunkel. Sie ahnte in der Tiefe einen goldenen Glanz. Dort lagen goldene Körner - sie umschlossen Wotans Kraft. Gudrun strömte das Blut heiß durch die Adern, unsichtbare Kräfte hüllten sie ein. Sie kamen von dem, der sich Mannus nannte, dem Vater der ersten Menschen. Seine Kraft schenkte jedem ihrer
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