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Rheingold

Titel: Rheingold
Autoren: Stephan Grundy
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vor ihr durch die Nacht galoppierte.
    Noch lange hörten sie den Feuersturm in ihrem Rücken, auch dann noch, als sie bereits im Wald waren und etwas langsamer ritten, um die Pferde zu schonen. Gudrun wurde nicht müde, obwohl sie bis zum Sonnenaufgang im Sattel saßen. Erst dann machten sie Rast; der Wanderer entzündete ein kleines Feuer, in dessen Wärme sie fast den ganzen Tag lang schliefen. So ging es mehrere Tage. Sie ritten in der Nacht, wenn es am kältesten war, und schliefen tagsüber in der Sonne, bis sie weit weg von dem Land waren, in dem Drichten herrschten, die Attila Bündnistreue geschworen hatten.

    *

    Gudrun glaubte, ihr werde nie wieder richtig warm werden, als sie am dreizehnten Tag ihrer Flucht bei Sonnenaufgang ein kleines Wirtshaus erreichten. Über dem Eingang hing eine Tafel mit drei goldenen Äpfeln.
    »Ich glaube, hier können wir heute rasten, ohne die Hunnen fürchten zu müssen«, sagte der Wanderer. Gudrun nickte.
    In der Wirtsstube saß ein alter Mann halb schlafend vor dem Feuer. Er hielt einen langen dicken Stab in der Hand, als fürchte er, man würde ihn bestehlen.
    »Etwas zu essen für uns und heißes Bier«, sagte der Wanderer zu dem dicken Wirt, der sie freundlich begrüßte. »Und gebt unseren Pferden etwas zu fressen. Wir haben sie schon in den Stall geführt.« Die beiden Männer verhandelten eine Weile über den Preis, während Gudrun die Schuhe aufschnürte und die gefühllosen Füße und Hände vor das Feuer hielt. Als der Wanderer ihr das heiße Bier brachte, legte sie beide Hände um den warmen Becher und trank in kleinen Schlucken, um sich nicht zu verbrennen. Das Bier schmeckte gut. Sie glaubte, in ihrem ganzen Leben nichts Besseres getrunken zu haben; als der Wirt ihnen Brot und Suppe brachte, fühlte sie sich so wohl und warm, als habe man sie in Daunen gehüllt. Füße und Hände prickelten nicht mehr wie grausame Nadelstiche, denn das Blut kreiste wieder ungehindert. Panik und Angst fielen endlich von ihr ab.
    Nach dem Essen lehnten sie sich an die Wand und tranken langsam und mit Bedacht. Gudrun blickte ins Feuer.
    »Wie ich sehe, kannst du noch nicht schlafen«, sagte der Wanderer. Unterwegs hatten sie kaum ein Wort miteinander gewechselt. Die Kälte schien nicht nur aus ihrem Körper, sondern auch aus ihrer Seele zu weichen. Gudrun war hellwach und wußte jetzt genau, wer sie befreit hatte.
    »Wotan«, fragte sie, »warum wolltest du, daß all dies geschehen ist? Sigfrid hat dir die Treue gehalten, und meine Brüder haben dich verehrt.«
    »Glaubst du wirklich, du kannst das Wirken der Götter begreifen, Gudrun? Bist du so klug?«
    »Ich frage dich, denn du hast mit meinem Mann, meinen Söhnen und meinen Brüdern ein grausames Spiel getrieben. Warum mußten so viele unserer tapfersten Krieger so jung sterben? Mußten sie sterben, weil du aus Wut für Mißtrauen, Zwietracht und Hader sorgst? Weil du Freude am Leiden und an der Verzweiflung der Menschen hast? Du hast das Unheil gewollt. In deinem Lied in Attilas Halle hast du es so erzählt. Du wolltest, daß das Rheingold aus dem Fluß geholt wird, und du hast Loki dazu ange stiftet.«
    Wotan schwieg und hörte Gudrun aufmerksam zu. Sie nahm ihren ganzen Mut zusammen und fragte: »Sag mir, warum bist du der Stammvater von Sigmunds Sippe geworden?«
    Als der Gott nicht antwortete, brach aus Gudrun wie Schrei die Frage heraus: »Wotan, sollen die Menschen wirklich in ihrer Not verzweifeln?«
    Wotans Auge richtete sich auf Gudrun, aber diesmal machte ihr der leuchtende Blick keine Angst. Er schien ihre Seele zu besänftigen wie alter, samtiger Wein. »Komm mit.«
    Wotan stand auf, und Gudrun folgte ihm. Im Mondlicht stand ein silbergraues Pferd. Schatten umgaben den Hengst, und Gudrun glaubte, acht Beine zu sehen. Sie schien von einem mächtigen Wind auf das Pferd gehoben zu werden. Wotans dunkler Mantel hüllte sie ein. In dem schwarzblauen Schutz war sie geborgen vor dem heftigen Wind, der sie umbrauste. Sleipnirs Hufe hallten laut durch die Nacht. Als Gudrun nach unten blickte, sah sie einen silbrig glänzenden Fluß. An den steilen Ufern ragten hohe Felsen auf.
    »Wo reitest du hin?« fragte Gudrun. Wotan antwortete nicht.
    Hinter dem Fluß und jenseits der Felsen, sah sie feurige Gestalten über eine weite Ebene reiten. Sie klammerte sich angstvoll an die graue Mähne, denn sie wußte, das waren die Muspilli, die Feuergeister, die den Ring der Mittelerde umkreisten und eines Tages, am Ende der Zeit, die
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