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Tal der Träume

Tal der Träume

Titel: Tal der Träume
Autoren: Patricia Shaw
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1. Kapitel
    A uf einer Landkarte des Nordterritoriums wäre die Viehstation von Black Wattle nicht mehr als ein Stecknadelkopf gewesen. Desgleichen ihre weitaus größere Nachbarin, Victoria River Downs, obwohl sie an die achtzehntausend Quadratmeilen maß, mit ihren ockerfarbenen Ebenen, uralten Kratern und längst vergessenen Senken in der glühenden Landschaft, wo einst ein stolzer Fluss in das verschwundene Binnenmeer geflossen war. Vor Urzeiten waren hier Dinosaurier umhergestapft und geschwommen, hatten Riesenschlangen ihre Beute belauert und ungeheure Vögel ihre Bahnen am Himmel gezogen. Das »Territorium«, das seinerseits nur einen Teil des »oberen Endes« von Australien darstellte, rühmte sich einer Größe von einer halben Million Quadratmeilen. Stecknadelkopf oder nicht, Victoria River Downs, besser bekannt unter dem Namen Big Run, und ihre Nachbarstationen waren von Schwindel erregenden Ausmaßen und vermittelten ihren Bewohnern ganz neue Vorstellungen von Grundstücksgrößen und Entfernungen.
    Für Zack Hamilton, der als junger Mann die familieneigene Viehstation Black Wattle geerbt hatte, war sein Riesenbesitz nichts Besonderes. Für ihn war es selbstverständlich, dass er Raum benötigte, um seine Herden in dieser Halbwüste zu erhalten, in der sich nur Geistereukalyptus und hohe, rote Termitenhügel über das trockene, stachlige Gras erhoben. Zack störte es nicht, dass er drei Tage gebraucht hatte, um wegen einer Besprechung zu Charlie Plumb, dem Verwalter von Big Run, zu reiten: Ihr Treffen war wichtig, denn es ging um Pläne für die Zusammenarbeit im Kampf gegen das Hochwasser, das die Regenzeit mit sich brachte. Sorge bereitete ihm nur, dass Charlie ihn ausgerechnet jetzt um Hilfe bat.
    »Wir sind knapp an Leuten, Zack. Sechs von unseren Viehtreibern sind letzte Woche in Richtung Goldfelder abgehauen. Ich habe tausend Stück Vieh verkauft und muss sie zu dem Käufer treiben, bevor die Regenzeit beginnt. Seine Leute holen die Tiere in Pine Creek ab.«
    »Hast ein bisschen lange gewartet, was?«
    »Wem sagst du das! Ich musste eine Treibermannschaft aus Katherine kommen lassen. Ich habe Paddy Milligan und seine Truppe angeworben. Nur eine kleine Mannschaft. Kennst du sie?«
    »Nein.«
    »Sie sind in Ordnung, aber sie kennen sich hier nicht gut aus. Ich brauche dich, damit du sie bis Campbell’s Gorge bringst. Wenn sie drüben sind, kommen sie allein zurecht. Es ist nur ein Umweg von ein paar Tagen, Zack.«
    »Über mein Ziel hinaus«, grollte Zack. »Und siebzig Meilen weiter östlich. Und meine Frau sitzt gestiefelt und gespornt zu Hause und will nach Darwin. Von Lucy ganz zu schweigen. Ich schwöre dir, sie hat schon vor einem Monat gepackt, ihr Freund kommt doch nach Hause. Ich bin ohnehin schon eine ganze Woche zu spät dran.«
    »Ah, die Damen! Sie werden es schon verstehen. Ist noch jede Menge Zeit. Wie geht es Sibell überhaupt? Ich habe gehört, sie fühlt sich nicht wohl.«
    »Bestens«, antwortete Zack. Er hatte keine Zeit, den Gesundheitszustand seiner Frau, oder besser gesagt, ihre geistige Verfassung, zu diskutieren.
    »Das freut mich zu hören. Hilfst du mir nun oder nicht, Zack?«
    Zack nickte mürrisch. Sie hatten beide gewusst, dass er es nicht ablehnen würde. Nicht ablehnen konnte. Das ungeschriebene Gesetz des Outbacks, dieses wilden, abgeschiedenen Landes, lautete Überleben. Man half, wann und wo auch immer Hilfe nötig war, denn das Überleben hing von der Zusammenarbeit ab.
    »Ist Milligan bereit zum Aufbruch?«
    »Ja, sie treiben die Herde gerade hinaus.«
    Ein paar Tage?, dachte Zack stöhnend. Und das mit einer langsamen Viehherde. Es würde wohl mindestens vier oder fünf Tage dauern.
     
    Lucy Hamilton trat ans Ende der hohen Veranda und warf einen besorgten Blick auf den langen Weg, der vom Wohnhaus wegführte und irgendwo zwischen den Bäumen verschwand. Nichts rührte sich. Man konnte beinahe auf die Idee kommen, die staubige Landschaft sei völlig leer, dieses Haus, das auf einem flachen Hügel kauerte, überrage ein Reich ohne Untertanen und Vieh. Vor allem jetzt um die Mittagszeit, wenn die Luft glühte und über der Station ein muffiger Geruch hing, ein uralter, heißer Geruch, als sei das Land selbst müde, ausgebrannt, erschöpft. Und alles war so still. Totenstill.
    Obwohl sie wusste, dass irgendwo dort draußen Viehtreiber arbeiteten, die Aborigines, die auf dem Besitz lebten, ihren Geschäften nachgingen, einheimische Tiere Schutz vor der Mittagshitze
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