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Rettungskreuzer Ikarus Band 049 - Schritt vor dem Abgrund

Rettungskreuzer Ikarus Band 049 - Schritt vor dem Abgrund

Titel: Rettungskreuzer Ikarus Band 049 - Schritt vor dem Abgrund
Autoren: Sylke Brandt
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Gelassenheit geworden war. Ohne sagen zu können, warum, machte dieser Unterton ihm Angst. Dann sah er in die schwarzen, ungewöhnlich weit aufgerissenen Augen und verstand. Sollte Fräulein Miyazaki aufgeben, sollte sie … verrückt werden oder gar etwas … Unüberlegtes tun, dann wäre er allein. Ganz allein. Er griff an seinen Kragen, der ihn plötzlich würgte, als das Blut schneller durch seine Adern pumpte.
     
    »Was haben Sie vor?«, fragte er.
     
    »Wir müssen die Kontrolle über das Schiff wiedererlangen und es in Gang setzen. Es gibt keine Beiboote mehr, entsprechend müssen wir die Stern der Freude nehmen, um irgendwie nach Vortex Outpost zu kommen.«
     
    »Das Schiff ist stillgelegt, niemand von der Besatzung ist mehr an Bord, keine Offiziere, Piloten oder Experten …«
     
    »Herr Taler ist an Bord.«
     
    »Ein einfacher Wartungstechniker!«
     
    »Besser als nichts, oder?«
     
    Sir Albert schwieg, sein Mund klappte zu. Sie hatte recht.
     
    Es gab da ein Sprichwort, irgendwas mit einem Spatzen und einem Dach. Sprichwörter waren stets vulgär, aber zutreffend.
     
    Ohne Notrufsender konnten sie ewig warten, bis jemand sie fand – oder eher: das, was zu dem Zeitpunkt dann von ihnen übrig sein mochte. Ein mumifizierter, stinkender Lord, aufrecht in seinem Sessel und eine Tasse mit staubigem Tee umklammernd?
     
    Sir Albert konnte nicht hoffen, an die ruhmreiche Vergangenheit seiner einstmals kriegerischen Familie anzuknüpfen, aber etwas mehr Glanz hatte er sich für sein Ableben nun doch vorgestellt, der Pathos des Verschrumpelns schien ihm reichlich dürftig. Trotzdem gab es noch weniger verlockende, da unwägbare Alternativen.
     
    »Wenn wir die Kabinen verlassen, setzen wir uns dem Risiko der Infektion aus«, gab er nüchtern zu bedenken.
     
    »Ich weiß. Aber Herr Taler ist mobil.«
     
    Wenn Sir Albert den Zustand seines Appartements und der Kabine von Fräulein Miyazaki in Betracht zog, wollte er ganz sicher nicht wissen, wie es dem Techniker in seinem Raumanzug ging, den er nun ebenso lange bewohnte wie sie ihre Räume – seit dem Tag, an dem sie realisiert hatten, dass einer der Passagiere das Wanderlustvirus an Bord gebracht hatte und die Seuche wie ein Feuerbrand durch das Schiff raste.
     
    Viele hatten sich in ihre Kabinen zurückgezogen, deren Filtersysteme Schutz vor jeder Art von Ansteckung boten, doch für die meisten von ihnen war es bereits zu spät gewesen. Sobald sie die Phase der Krankheit überwunden hatten, die einer Grippe ähnelte, hatten diese Leute nur allzu gerne ihre Türen geöffnet und sich den anderen Infizierten angeschlossen. Für die vom Virus ergriffenen hatte es kein Halten mehr gegeben. Sie hatten alle ein Ziel, obwohl sie nicht zu sagen vermochten, wo genau es lag und was sie dort erwartete.
     
    Sir Albert erinnerte sich schaudernd an die Kommdurchsagen dieser ersten Tage, an die euphorischen Aufrufe, die befremdliche Heiterkeit und Entschlossenheit der Erkrankten. Sie wollten die Stern der Freude schlichtweg kapern und umleiten, was ein Leichtes gewesen wäre, waren doch zahlreiche Besatzungsmitglieder ganz ihrer Meinung. Allerdings nicht der Kapitän. Er hatte letztlich sein eigenes Schiff sabotiert, um es vor der Entführung zu bewahren, und sich dann mit einigen seiner Leute, die noch nicht erkrankt waren, in einem Beiboot abgesetzt. Natürlich hatte es einen Aufruf an die verbliebenen Gesunden gegeben, sich anzuschließen, doch Sir Albert hatte es nicht gewagt, seine Kabine zu verlassen.
     
    Dann hatten die Infizierten sich der anderen Bei- und Rettungsboote bemächtigt, bis hin zur kleinsten Kapsel, alle vollgepfercht mit mehr Menschen, als je gestattet war. Friedlich, zuversichtlich, vollkommen irre waren die Passagiere und die Crew in die kleinen Schiffe gestiegen, hatten sie mit Vorräten vollgestopft und sich auf ihren Weg gemacht, einem mysteriösen Ruf folgend wie Zugvögel, wenn der Winter kam.
     
    Und der Winter war gekommen. Still, leer, einsam. Soweit Sir Albert wusste, gab es an Bord des riesenhaften Luxusliners niemanden mehr außer ihm, Fräulein Miyazaki und Herrn Taler.
     
    »Vielleicht könnte Herr Taler uns auch Raumanzüge bringen?«
     
    »Desinfizierte?«
     
    »Es könnte doch möglich sein. Ich werde ihn fragen. Und wenn er mir einen bringen kann und alles gut geht, dann kommen wir Sie abholen.«
     
    Sir Albert nickte. Er wusste, dass sie selbst dann keinen Schritt weiter waren, wenn sie zu dritt durch den sterbenden
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