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Retra – Insel der Schatten: Roman (German Edition)

Retra – Insel der Schatten: Roman (German Edition)

Titel: Retra – Insel der Schatten: Roman (German Edition)
Autoren: Marianne de Pierres
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hätten Retras Kopf beinahe gestreift. Der Junge reagierte jedoch schnell und zog Retra fest an sich, damit der Pirat nicht auf sie trat.
    Leichtfüßig sprang die gestiefelte Gestalt mit gezücktem Schwert auf Deck und rannte zur Treppe. Langes Haar fiel über die lederbedeckten Schultern. Mit einem geschmeidigen Sprung war sie unten in der Kabine, und das Knurren hörte sogleich auf.
    Retra spürte, wie der Junge den Atem anhielt. Sie glaubte sogar, seinen Herzschlag zu hören. Oder war es ihr eigener? An Angst war sie gewöhnt, an Nähe nicht. Ihre Brust an seinem Bauch, seine Knie an ihrem Oberschenkel, sein Atem kam ihr so nah, dass sie seine feuchte Wärme an ihrer Haut fühlte.
    Sie wollte zurückweichen, doch er ließ es nicht zu.
    »Warte! Sieh hin. Für den Fall, dass …« Er brach ab.
    Retra wandte das Gesicht wieder der Kabine zu. Was hatte er gemeint?
    Einen Moment später kam die Piratin die Treppe heraufgerannt, einen schlaffen Körper halb ziehend, halb tragend – das Mädchen, das zu alt war, erkannte Retra. Mit der freien Hand schwang sie ein Schwert. Sie nahm den gleichen Weg zurück, was sie wieder zu derselben Stelle knapp neben Retra führte.
    Der Junge, Cal und Retra drängten sich enger zusammen, als die Piratin ihr Schwert fallen ließ, um den Körper über die Reling zu hieven. Als die Waffe zu Boden klapperte, bespritzte sie Retra mit etwas Nassem, Klebrigem.
    »Fangt«, befahl die Piratin in strengem Ton denjenigen, die unten im Rennboot warteten.
    »Bitte tu mir nichts«, bettelte die verängstigte junge Frau.
    »Ich rette dich, also sei still und tu, was man dir sagt«, befahl die Piratin. Sie fasste hinunter nach dem Griff des Schwerts und entdeckte in diesem Augenblick Retra.
    Wilde Augen musterten sie. Die Spitze der Klinge tippte gegen Retras Schläfe, um ihren Schleier anzuheben.
    Retra erstarrte vor Angst. Würde die Piratin sie jetzt töten? Oder mitnehmen?
    Aber die Piratin betrachtete den Schleier, hob verstehend die Augenbrauen und ließ ihn wieder zurückfallen. Der Junge zog sie zur Seite in seinen Schoß und legte die Arme schützend um sie. Wie um ein Kind.
    Die Piratin starrte sie beide an – ein Moment, der Retra länger vorkam als alles, was sie bisher erlebt hatte, länger noch als der Moment, als der Aufseher den Gehorsamkeitsstreifen an ihr befestigt hatte.
    Dann zwinkerte die Frau ihr zu, das Schwert zuckte zurück, und so schnell, wie sie gekommen war, war sie auch wieder verschwunden.
    »Ruzalia«, hauchte der Junge. »Das Haar röter als Feuer und eine Klinge, die schneller ist als der Wind.« Zittrig lachte er. »Ich nehme an, sie hat gefunden, was sie suchte, und das reicht ihr.«
    Als hätte die Piratenkapitänin ihn gehört, bellte ihre scharfe Stimme von unten: »Runter von dem Kahn!«
    Retra glitt vom Schoß des Jungen und sprang auf, um einen Blick zu riskieren. Mehrere Piraten machten einen Satz von der Fähre ins Wasser und wurden von der Motoryacht eingesammelt, die einen engen Bogen schlug.
    »Niemand kann Ruzalia fassen. Sie ist zu schnell«, seufzte der Junge. Jetzt waren auch er und Cal auf den Beinen. »Und clever.« Er klang beeindruckt, vielleicht sogar neidisch.
    »Und sie hat Glück«, sagte Cal.
    Retra sah dem schmaler werdenden Streifen Kielwasser nach, den das Rennboot in der Dunkelheit hinterließ, während Ruzalia davonsauste.
    Stille legte sich über das Schiff. Die Partylichter blinkten wieder auf. Der Strahl eines Schweinwerfers begann über das Deck zu wandern und zeigte mehrere Grüppchen von Ausreißern, die sich im Bug aneinanderklammerten. Riper liefen auf dem Deck umher und versuchten sie dazu zu bewegen, wieder zurück zum Heck zu kommen.
    Retra drehte sich zu dem Jungen um. Jetzt im Scheinwerferlicht sah sie ihn zum ersten Mal richtig. Im Magen spürte sie ein leichtes Flattern. Glatte Haut und volle Lippen, umrahmt von Locken, die ihm bis auf den Mantelkragen fielen. Seine Augen könnten haselnussbraun sein, dachte sie, oder auch grau, und sein Blick war so tief und seelenvoll, dass ihre Augen anfingen zu brennen. Sie warf einen Blick auf ihre Schuhe hinunter, damit er nicht dachte, sie würde gleich weinen.
    »Danke, dass d-du …« Sie brach ab.
    »Ich bin Markes. Aus Grave Nord.« Er hielt die Hand in ihr verschwommenes Blickfeld.
    »Retra, aus Seal Süd«, sagte sie, als müsse sie sich dafür entschuldigen.
    »Ich habe gehört, dass die Riper keine Seals mögen. Du solltest lieber deinen Namen ändern«, warnte er sie
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