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Retra – Insel der Schatten: Roman (German Edition)

Retra – Insel der Schatten: Roman (German Edition)

Titel: Retra – Insel der Schatten: Roman (German Edition)
Autoren: Marianne de Pierres
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ewigen Nacht, der ewigen Jugend. Das ist die Insel, die niemals schläft. Brenne hell!« Er salutierte noch spöttisch und verschwand dann über das lange, düstere Deck in Richtung Brücke. Ein Schauder überlief sie, als ihr klar wurde, was sie getan hatte.
    Wenigstens hatte der Schmerz jetzt nachgelassen, so als hätten seine eisigen Hände ihn gelindert. Sie konnte wieder frei atmen.
    »Glaubst du, die sind alle so?«
    Aus ihren Gedanken gerissen sah sich Retra nach der Sprecherin um – einem Mädchen, das sich an die Schiffswand drückte, als suche es Schutz vor der nasskalten Dunkelheit und der fremden Umgebung. Glattes blondes Haar fiel ihr bis über die Schultern. Noch nie hatte Retra so weißes Haar gesehen. Sie hätte es gern angefasst, um herauszufinden, ob es echt oder aus Mondlicht gewirkt war.
    »Wer alle ?«, fragte sie stattdessen und hockte sich in die Schatten neben sie.
    »Die Riper.«
    »Was ist ein Riper?«
    »Liest du das Konfetti denn nicht?«, fragte das Mädchen.
    Retra dachte an die Ballongondel, die manchmal von Ixion herüberschwebte und Graves nasse Pflasterstraßen mit Flugblättern übersäte. Vater hatte sie ausgepeitscht, weil sie die Teilchen aufgesammelt hatte. Anschließend hatte er sie im Holzofen verbrannt. Aber Joel hatte ein Flugblatt nach Hause geschmuggelt und es ihr flüsternd vorgelesen. »Ja. Einmal.«
    Das Mädchen seufzte, als wäre Retra schwer von Begriff. »Die Riper, das sind die Wächter von Ixion. Sie passen auf dich auf. Und wissen alles. Selbst wenn du irgendwann zu alt bist, um dort zu bleiben.«
    »Was passiert dann mit dir?«
    Das Mädchen zuckte die Achseln, als wäre ihr das gleich, aber Retra sah die Erregung in ihren Augen, die von den Lampengirlanden um die Reling herum bunt gefärbt wurden.
    »Woher soll ich das wissen? Ist doch noch eine Ewigkeit hin.« Sie lächelte frech. »Ich bin erst siebzehn. Bis dahin kann ich noch viele Partys feiern.«
    Retras Magen zog sich zusammen. »Ich war noch nie auf einer Party.«
    Das Mädchen steckte sich einen Finger in den Mund und saugte daran. »So wie wir alle. Aber ich habe geübt, was ich sagen werde, wenn mich ein süßer Junge mal zum Tanz auffordert. Oder wenn er mich fragt, ob ich mit ihm gehe.« Sie kicherte. »Egal, ich heiße Cal. Und du?«
    Zögernd beugte sich Retra vor, in das Licht der blinkenden bunten Lampen hinein, und hob ihren Schleier. »Retra.«
    Cals Lächeln erlosch. Sie kräuselte die Nase. »Deinen Schleier hab ich gar nicht gesehen. Du bist eine Seal. Seals sind in Ixion nicht gern gesehen, sie brauchen einfach zu lange, um locker zu werden. Wenn sie nicht schon vorher total gaga werden.«
    Retra erstarrte. Cals Ausdrucksweise schockierte sie. »Woher weißt du das?«
    Cal rückte von ihr ab, als sei sie ansteckend. »Liegt doch auf der Hand, oder? Ihr Superkorrekten seid ein bisschen zurückgeblieben. Sobald man euch eine Spur Freiheit gibt, dreht ihr durch.« Sie führte den Zeigefinger an die Stirn und beschrieb einen Kreis.
    »Die einen ziehen sich zurück, die anderen lassen erst recht die Sau raus – so hab ich es gehört. Ich frage mich nur, welche Sorte du wohl bist?«
    Die Superkorrekten? So nannte man sie also in Grave?
    Also, Cal mochte sich unflätig ausdrücken können, doch über Retra wusste sie nichts. Seals lebten nicht nur in geschlossenen Anlagen, sie verstanden es auch, ihren Geist zu verschließen. Das Erste, was ein Seal als Kind lernte, war, seine Gedanken und Emotionen vor anderen zu verbergen.
    Deswegen vermisste Retra Joel auch so sehr. Nur mit ihrem Bruder hatte sie ihre Geheimnisse flüsternd geteilt. Und nur bei ihm hatte sie sich sicher genug gefühlt, um über ihre Gefühle zu sprechen. »Wir sind nicht zurückgeblieben«, sagte sie. »Wir sind …« Sie suchte nach dem richtigen Wort. »Vielleicht zurückhaltend.«
    »Geht ihr deswegen nicht zur Schule oder zu Ratsversammlungen? Lebt ihr deswegen in dieser blöden Anlage? Weil ihr zurückhaltend seid?«
    Cals Sarkasmus machte Retra nervös. »Wir besuchen die Teleschule.«
    »Teleschule, das ist doch schräg. Ein Kopf in einer rechteckigen Kiste als Lehrer.«
    »Es ist eine bewährte Lernmethode.«
    » Eine bewährte Lernmethode «, äffte Cal sie nach. »In der Schule geht es nicht ums Lernen, sondern darum, Freunde zu finden. Weiß doch jeder. Wie kannst du Freunde finden, wenn du keinen Kontakt zu anderen hast?«
    »Ich h-habe Kontakt. Zu meiner Familie und … unserem Aufse…« Retra brach ab. Sie
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