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Retra – Insel der Schatten: Roman (German Edition)

Retra – Insel der Schatten: Roman (German Edition)

Titel: Retra – Insel der Schatten: Roman (German Edition)
Autoren: Marianne de Pierres
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traf, kochte die dunkle See und schickte feines Sprühwasser die Seite hoch. Das Salz stach in ihren Augen. Sie hielt sich am Geländer fest und horchte auf die Rufe und Schreie, die über das Wasser kamen. Etwas stimmte nicht.
    Plötzlich erloschen die Partylichter, während unsichtbare Schwingen durch die Luft über ihr schlugen. Sie fiel auf die Knie und krabbelte zur Kabine, um dort Schutz zu suchen.
    Kurz bevor sie die Treppe erreichte, erbebte die Fähre, als hätte sie etwas gerammt. Retra wurde nach vorn geschleudert. Ihre ausgestreckten Hände berührten einen Körper. Sie unterdrückte einen Schrei, als eine Hand nach ihrem Arm griff und ihr half, sich aufrecht hinzusetzen.
    »Hey, alles in Ordnung«, sagte eine männliche Stimme beruhigend.
    Sie strengte sich an, um ihn besser sehen zu können. Er war breit gebaut, kräftig – zumindest schien es in dem körnigen Licht so. Neben ihm erkannte Retra eine kleinere Gestalt, deren langes weißes Haar schimmerte, als würde es aus sich heraus leuchten.
    »Cal?«
    Cal lehnte sich gegen den Jungen, sodass ihrer beider Schatten zu einem einzigen verschmolzen, und flüsterte eine Spur zu laut: »Sie ist eine Seal.«
    Hastig zog er seine Hand von Retras Arm zurück.
    Sie wollte ihm gerade sagen, dass sie nicht kontaminiert war und dass sie und er gleich waren, da schwoll der Lärm um sie herum noch einmal an, als sich aufgeregte Rufe und Schritte hineinmischten.
    Mehrere Riper rannten an ihnen vorbei, so schnell, dass Retra zwar das Klappern ihrer Stiefel hörte, aber nur einen flüchtigen Blick auf ihre wehenden langen Mäntel erhaschte.
    Der Junge neben ihr stemmte sich auf die Füße und spähte über den Schiffsrand. Retra und Cal taten es ihm nach.
    Ein blutrotes Flackern zuckte über den Himmel an Steuerbord, dann sah Retra ein schlankes Rennboot längsseits treiben. Darüber schwebten angeleinte Echo-Orter mit riesigen Schwingen und kreischten.
    »Wie bekommt man sie bloß in das Geschirr?«, fragte Retra. Sie erschauderte, als sie daran dachte, wie sie über den Nachthimmel über Grave zogen, auf der Jagd nach den kleineren Exemplaren ihrer Art. Kannibalen, hatte Joel sie genannt.
    »Das ist Ruzalia, die Piratin«, sagte der Junge. »Sie kann alles. Ihre Mannschaft besteht ausschließlich aus Leuten, die sie entführt.«
    »Wer hat dir das gesagt?«, fragte Cal.
    »Das stand in dem Konfetti. Darin wird vor ihr gewarnt.«
    Retra versuchte, sein Gesicht zu erkennen. »Was stand denn da drin?«
    »Wenn sie die Fähre überfällt, soll man sich ruhig verhalten. Und ihre Aufmerksamkeit bloß nicht auf sich ziehen, falls sie einen mitnimmt. Es heißt, sie lässt sich von denen, die sie entführt, unterhalten. Wie dressierte Tiere müssen sie spielen und singen.«
    »Vielleicht sollten wir in die Kabine gehen?« Langsam zog sich Retra von dem Luftzug, den die schlagenden Schwingen verursachten, zurück.
    »Nein!«, sagte der Junge. Seine Hand schoss vor und packte ihr Handgelenk. »Nicht! Dort haben die Riper alle, die die Altersgrenze überschreiten, hingebracht. Ruzalia wird überall suchen. Und ganz besonders dort.«
    Retra erschrak bei seiner Berührung, doch seine Stimme hatte etwas Vertrauenerweckendes. Er strahlte Selbstsicherheit aus, so wie Joel. Instinktiv suchte sie seine Nähe.
    Als hätte er ihre Reaktion gespürt, lockerte er seinen Griff. Doch dann, als ein Körper über der Reling neben ihnen auftauchte, wurde er wieder fester.
    Plötzlich waren die Piraten überall, rannten mit flinken Füßen über Simse, drehten Stapel von Tauen mit ihren Schwertern um und stachen hinter Abdeckungen.
    Noch ein flackerndes Licht schoss himmelwärts und explodierte rot fluoreszierend.
    Schreiend flüchtete einer der anderen Ausreißer aus Grave an ihnen vorbei zum Bug.
    Der Junge zog Retra und Cal in den Schatten der gewölbten Schiffswand.
    »Still!«, flüsterte er.
    Sie befanden sich nahe genug an der Kabine, um zu sehen, wie ein Riper von unten heraufkam. Als er den obersten Absatz der Treppe erreicht hatte, sprang ein Pirat auf ihn hinunter. Doch der Riper wich aus, sodass der Pirat auf das Deck schlug. Mit übermenschlich schnellen Bewegungen warf sich der Riper auf ihn und schleifte ihn mit sich nach unten.
    Dann drangen Schreie und tiefes Knurren herauf.
    »Was war das?«, flüsterte Retra.
    »Psst«, machte der Junge und wies mit dem Finger nach oben.
    Eine hochgewachsene Gestalt erklomm die Reling direkt über ihnen. Lange Beine schwangen herüber und
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