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Resturlaub

Resturlaub

Titel: Resturlaub
Autoren: Tommy Jaud
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schreie laut auf vor Schmerz. Eine mächtige Fontäne brühend heißen Wassers schießt nur Zentimeter an mir vorbei bis an die Decke und ergießt sich im Raum.
    »Heiß, heiß, heiß!«, schreie ich, als würde mein Geschrei das Wasser abkühlen. Ich kneife die Augen zu und mit einer einzigen Bewegung gelingt es mir, meine Fesseln vom Rohr des Heizkörpers abzustreifen. Hastig robbe ich an das andere Ende des Raumes, der sich inzwischen in eine finnische Sauna kurz nach einem Aufguss verwandelt hat, und ziehe mich an einem Regal nach oben. Alles dampft und brodelt, als ich mir die Flasche Seppelpeter's Spezial's aus dem Regal nehme und genussvoll öffne.
    Ich leere sie mit geschlossenen Augen und ohne ein einziges Mal abzusetzen. Kein einziges Bier der Welt hat mir jemals besser geschmeckt als in dieser Sekunde dieses lauwarme Seppelpeter's Spezial's.
    »Ahhhhhhhhhhhh!«
    Als ich die leere Flasche zurück ins Regal stelle, bemerke ich zwei junge Männer, die in der Tür stehen. Und während sich Beckham auf die Wasser spuckende Heizung stürzt, starrt mich der andere regungslos an. Ich erschrecke nicht, denn trotz des Wasserdampfes kann ich erkennen, wer es ist: Alex, mein Kreuzschlitzschrauben-Sitznachbar vom Hinflug.
    + 1 Tag
    DIE ROTE TACHONADEL zittert sich über die 100, als Alex und ich während eines wunderschönen Sonnenuntergangs Richtung Flughafen Ezeiza rasen. Es ist später Dienstagnachmittag, was bedeutet, dass ich fast einen ganzen Tag verloren habe in meinem deutsch-argentinischen Heizungszimmer. Es schießen immer wieder die gleichen Bilder durch meinen Kopf: Wie Biene den Brief liest. Wie ich Biene ein letztes Mal umarme. Wie ich ausziehen muss aus Bienes Wohnung und wieder ganz von vorne anfange. Doch noch ist Dienstag. Noch habe ich eine kleine Chance, die Sachen zu richten.
    »Äh ... tschuldigung, gilt natürlich nicht!«, reißt mich Alex aus meinen Gedanken und schaltet die Taxiuhr aus.
    »Danke. Sehr nett!«
    Ich sitze im gleichen Taxi, in dem ich am Vorabend entführt worden bin, nur, dass Alex dieses Mal der Fahrer ist und nicht sein Komplize Beckham. Die geraubten Sachen habe ich zurückbekommen, auch die Uhr und den Pass. Die viertausend Dollar von meiner Kreditkarte, die Beckham bereits in DVDSpieler und Handys investiert hat, halte ich in bar in meinen Händen. So peinlich ist Alex die Entführung, dass er seit einer halben Stunde unentwegt drauflos plappert.
    »Das tut mir echt Leid, ich meine, das war wirklich ein Scheiß-Zufall! Mann, ausgerechnet dich sammelt der Idiot auf!«
    »Ich nehme mal an, dass ihr eure Opfer sonst nicht zum Flughafen fahrt, oder?«
    »Spinnst du?«, lacht Alex. »Wir fahren sie raus nach La Plata!«
    »Find ich eigentlich ziemlich scheiße!«
    »Na, wir hören ja auch auf mit dem Scheiß!«
    »Schlechtes Gewissen?«
    »Nee, ich ... werde Vater und ... ich zieh bald mit meiner Freundin zusammen. Dann, äh ... geht das alles nicht mehr.« »Verstehe!«
    Über eine schlecht betonierte Auffahrt rattern wir auf die Flughafenautobahn. Meine Ohren haben mich nicht getäuscht, ich war die ganze Zeit ziemlich nahe am Flughafen: Am Horizont kann man bereits die Heckflossen der großen Maschinen und den Tower sehen. Alex, der immer noch nicht so recht weiß, was er reden soll, dreht das Radio an. Ausgerechnet Madonnas »Don't cry for me, Argentina« kommt aus den Boxen.
    » ... so I chose freedom Running around, trying everything new But nothing impressedme at all... «
    »Wie war's denn überhaupt in Mar del Plata?«, unterbricht Alex unvermittelt.
    »Ich war nicht in Mar del Plata. Ich war in Buenos Aires, die ganze Zeit. Ich ... wollte ein neues Leben anfangen.« Erstaunt schaut Alex zu mir rüber.
    »Ein neues Leben? In einer Woche? Und? Haste's geschafft?« Durch das schmutzige Seitenfenster blicke ich hinaus auf die trostlosen Wohnghettos am Rande der Flughafenautobahn. Dann drehe ich meinen Kopf zu Alex.
    »Ja!«
    Madonna singt weiter »Don't cry for me Argentina«, während sich unser Taxi schweigend dem Flughafen nähert. Als erste Schilder die Spuren der Autobahn in DEPARTURE und
    ARRIVAL aufteilen, räuspert sich Alex.
    »Welche Airline?«, fragt er routiniert.
    Ich muss dreimal tief durchatmen, bevor ich ihm eine einigermaßen ruhige Antwort geben kann.
    »Als ihr mich ausgeraubt habt, habt ihr da ein Flugticket gesehen mit dem Namen von einer Airline drauf und einer Abflugzeit?«
    »Nee! Hat uns auch gewundert eigentlich.«
    »Dann sieht es wohl fast so
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