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Resturlaub

Resturlaub

Titel: Resturlaub
Autoren: Tommy Jaud
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nervösen Autofahrern mit dem Fuß am Gas stehe.
    »Akku leer, meld mich!«, kann ich noch sagen, dann heulen die Motoren auf, ich sehe Lunas Reifen durchdrehen und den Spider beschleunigen, ganz langsam, so wie in einem amerikanischen Spielfilm, und dann hechtet der grimmige Zitronen-Alfa auf mich zu. Mit einem verzweifelten Sprung gelingt es mir noch, mich über den Wagen zu rollen. Scheiben klirren, aus der
    Ferne höre ich Stefano rufen und dann lande ich krachend auf der Motorhaube eines japanischen Kleinwagens mit dem Kennzeichen DNQ-486.
    Was dann geschieht, nehme ich nur noch bruchstückhaft wahr, es fehlen ganze Teile meiner Erinnerung. Alles, was ich noch weiß, ist, dass Stefano sich über mich beugt, dass ganz viele Leute hupen und dass mehrere Ärzte von der Karte meiner privaten Krankenkasse so begeistert sind, dass sie mich nicht nur dreimal röntgen, sondern auch noch in so ein ratterndes Kernspin-Dings schieben, was fast so viel Lärm macht wie die Avenida 9 de Julio.
    Und so wird es Abend, als ich mit einer Rechnung über 1845 Dollar und mehreren, postergroßen Aufnahmen meiner geprellten Rippe vor das Krankenhaus trete, wo Stefano noch immer wartet. So zerknittert und schuldbewusst kommt er auf mich zu, als wäre er allein verantwortlich für beide Weltkriege, Krebs und die Sperrstunde bei der Bamberger Sandkerwa.
    »Das war keine gute Idee mit dem Hirsch!«, entschuldigt er sich, »oder?«
    Ich schüttle den Kopf, was ganz schön weh tut.
    »Stefano, was ich mich die ganze Zeit gefragt habe in all den Wartezimmern: Was heißt eigentlich reclamacion?«
    » Reclamacion? Das ist eine Mahnung. Wenn du Rechnungen nicht bezahlst, weißt du?«
    »Okay!«
    »Aber sag, warum sie hat dich umgefahren?«
    »Sie hat mich verwechselt, Stefano.«
    »Oh. Mit wem denn?«
    »Mit jemandem, der ziemlich viel Geld hat.« »Oh .«
    »Stefano, wie viel Uhr haben wir?«
    »Son las seisy ... Kurz nach sechs!«
    »Dann hab ich noch genau zwei Tage!«
    »Wozu?«, fragt Stefano verwundert.
    »Mein Lieber«, sage ich und umarme ihn vorsichtig, »es war toll, dich kennen gelernt zu haben. Aber ich fahre jetzt nach Hause.«
    Erschrocken schaut mich Stefano an.
    »Aber . warum???«
    »Weil ich ausgerechnet am Ende der Welt nach den Dingen gesucht habe, die ich zu Hause längst hatte.«
    Stefano presst die Lippen aufeinander, dann trifft sich unser Blick und wir geben uns ein letztes Mal die Hand.
    »Schreibst du mir mal aus Europa?«
    »Ganz bestimmt«, grinse ich.
    Kick it like Beckham
    DEUTSCHE FRAUEN wären bestimmt begeistert von argentinischen Taxifahrern, denn sie können etwas, was man uns Männern gerne abspricht: mehrere Dinge gleichzeitig. Der Fahrer meines Radiotaxis zum Beispiel kann gleichzeitig Auto fahren, rauchen, Kaffee trinken und sich per Handy nach den nächsten Madridflügen der Iberia erkundigen.
    »lA que hora sale, decis? A las nueve y media! La ultima del dia. jDale! Gracias.«
    Bedächtig lässt mein Taxifahrer sein Handy in die Halterung rasten.
    »The last plane is at half past ten. It's Iberia and you have to be there at eight!«
    »Gracias, thank you!« antworte ich gehetzt und beginne sofort wild zu rechnen. Halb zehn, das heißt nicht mehr und nicht weniger, als dass ich noch genau dreieinhalb Stunden habe, bis die letzte Maschine Richtung Europa Buenos Aires verlässt. Wenn ich überhaupt noch einen Platz bekomme. Geschätzte zwanzig Blocks sind es noch bis zur WG: zehn Minuten. Packen und verabschieden: zwanzig Minuten. Taxi zum Flughafen in der Rushhour: eine Stunde. Ticket kaufen, Einchecken, Sicherheitskontrollen, Passkontrollen: halbe Stunde.
    Knapp. Sehr knapp sogar!
    Nervös rutsche ich auf der Rückbank hin und her, denn obwohl vor uns alles frei ist, schwankt die weiße Tachonadel des Renaults noch immer zwischen vierzig und fünfzig Kilometern pro Stunde. Jeder andere Taxifahrer der Welt hätte aus der Kombination >Flug geht bald< und > Fahrgast ist nervös< den passenden Schluss gezogen. Nicht so mein Taxifahrer, ein älterer Herr mit Baskenmütze und einem in den neunziger
    Jahren erloschenen Zigarillo. In Ermangelung jeglicher sozialen Kompetenz zieht dieser es nämlich vor, mich mit einer fast schon bösartigen Ruhe und Kaffee trinkend meinem Ziel entgegenzuschaukeln.
    »A las nueve y media!? Puhhh!!!«, stöhne ich laut, in der Hoffnung, dass der alte Mann und sein Zigarillo es irgendwie mitbekommen. Sie bekommen es mit, ich sehe es an einem kurzen Nicken. Aber das war's dann
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