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Reisetagebuecher

Reisetagebuecher

Titel: Reisetagebuecher
Autoren: Franz Kafka
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und ist in der Wirtschaft eines gewissen Klaude in Appenroda seit 1 1/2 Jahren beschäftigt. Meine Eigentümlichkeit, Eigennamen selbst bei mehrfachem Vorsagen nicht zu verstehn und dann auch nicht zu behalten. Sie ist Waise und wird am 1 Oktober in ein Kloster eintreten. Ihren Freundinnen hat sie es noch nicht gesagt. Sie wollte schon im April, aber ihre Herrschaft wollte sie nicht lassen. Sie geht ins Kloster wegen der schlechten Erfahrungen, die sie gemacht hat. Erzählen kann sie sie nicht. Wir gehn vor dem Tanzsaal im Mondschein auf und ab, meine kleinen Freundinnen von letzthin verfolgen mich und meine "Braut". Trotz ihrer Trauer tanzt sie aber sehr gerne, wie sich besonders zeigt als ich sie später dem Dr. Sch. borge. Sie ist Feldarbeiterin. Um 10" mußte sie nach hause fahren.

    22 (Juli 1912) Frl. Gerloff, Lehrerin, eulenähnliches junges frisches Gesicht, voll lebhafter gespannter Züge. Der Körper ist nachlässiger. - Hr. Eppe Privatschulleiter aus Braunschweig. Ein Mensch, dem ich unterliege. Beherrschendes, wenn notwendig feueriges, durchdachtes, musikalisches, auch zum Schein schwankendes Sprechen. Zartes Gesicht, zarter aber das ganze Gesicht überwachsender Bakken- und Spitzbart. Zimperlicher Gang. Ich saß ihm schief gegenüber als er gleichzeitig mit mir zum erstenmal sich zum gemeinsamen Tische setzte. Eine still kauende Gesellschaft. Er warf Worte hin und her. Blieb es doch still, so blieb es eben still. Sagte aber ein Entfernter ein Wort, so hielt er ihn schon, aber nicht mit Überanstrengung sondern er sprach zu sich, als sei er angeredet und werde angehört und schaute dabei auf die Tomate, die er schälte. Alle wurden aufmerksam, außer die welche sich gedemüthigt fühlten und trotzten wie ich. Niemanden lachte er aus, sondern ließ jedes Meinung auf seinen Worten schaukeln. Rührte sich nichts, so sang er leise beim Nüsseknacken oder den vielen Handreichungen, die bei Rohkost nötig sind. (Der Tisch ist voll Schüsseln und man mischt nach Belieben) Schließlich beteiligte er alle an seinen Angelegenheiten, indem er vorgab alle Speisen notieren und das Verzeichnis seiner Frau schicken zu müssen. Nachdem er einige Tage uns mit seiner Frau entzückt hatte, fiengen neue Geschichten von ihr an. Sie sei gemütskrank, müsse in ein Sanatorium in Goslar, werde nur aufgenommen, wenn sie sich für 8 Wochen verpflichte, eine Wärterin mitbringe u. s. w., das ganze werde, wie er ausgerechnet hat und wie er wiederum bei Tisch vorrechnet über 1800 M kosten. Aber keine Ahnung einer Absicht, Mitleid zu erregen. Aber immerhin will eine so teuere Sache überlegt werden, alle überlegen. Paar Tage später hören wir, daß die Frau kommen wird, vielleicht genügt ihr dieses Sanatorium. Während des Essens bekommt er die Nachricht, daß die Frau mit ihren 2
    Jungen eben angekommen ist und ihn erwartet. Er freut sich, ißt aber ruhig bis zu Ende, trotzdem es 41
    bei diesem Essen ein Ende nicht gibt, da alle Speisen gleichzeitig auf dem Tisch stehn. Die Frau ist jung, dick, mit nur in der Kleidung angedeuteter Taille, klugen blauen Augen, hochfrisiertem blondem Haar, versteht das Kochen, die Marktverhältnisse u. s. w. ganz genau. Beim Frühstück -
    seine Familie war noch nicht bei Tisch - erzählt er während des Nüsseknackens Frl. Gerloff und mir: Seine Frau ist gemütskrank, hat die Nieren angegriffen, ihre Verdauung ist schlecht, sie leidet an Platzangst, schläft erst gegen 5 Uhr in der Nacht ein, wird sie dann früh um 8 geweckt, "ärgert sie sich natürlich wüst" und wird "fuchswild". Ihr Herz ist in größter Unordnung, sie hat ein schweres Asthma. Ihr Vater ist im Irrenhaus gestorben,

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    Reise September 1913

    am 10. Sept. 1913

    Zwischen den Säulen der Vorhalle des Parlamentes. Warte auf meinen Direktor. Großer Regen.
    Vor mir Athene Parthenos mit Goldhelm.

    6./IX (1913) Fahrt nach Wien. Dummes Litteraturgeschwätz mit Pick. Ziemlicher Widerwillen. So (wie P.) hängt man an der Kugel der Litteratur und kann nicht los, weil man die Fingernägel hineingebohrt hat, im übrigen aber ist man ein freier Mann und zappelt mit den Beinen zum Erbarmen. Seine Nasenblaskunststücke. Er tyrannisiert mich, indem er behauptet, ich tyrannisiere ihn. - Der Beobachter in der Ecke. - Bahnhof Heiligenstadt, leer mit leeren Zügen. In der Ferne sucht ein Mann den plakatierten Fahrplan ab. (Jetzt sitze ich auf der Stufe der Herme eines Teophil Hansen) Gebeugt, im Mantel, das Gesicht vergeht gegen das gelbe
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